Zweifellos, das war bitter nötig, mal ganz unabhängig von irgendwelchen parteipolitischen Farben.Ulrich Hilsinger hat geschrieben: Ich kann S21 durchaus auch was positives abgewinnen: Immerhin hat S21 viel frischen Wind in die Baden-württembergische Landespolitik gebracht
Das ist richtig, und ich kenne aus meinem Berufsleben auch kein grösseres Projekt, das ohne Überraschungen zu dem vorgesehenen Zeitpunkt und mit den ursprünglich geplanten Ausgaben abgeschlossen worden wäre. Man kann nicht alles voraussehen, sonst wird man nie fertig.Ansonsten: Dass ein Projekt nicht genau wie ursprünglich geplant durchgezogen wird, ist normal. Es ist ein Irrglaube, daß man ein Großprojekt ein mal minutiös planen und dann genau nach diesem Plan durchziehen kann. Eine Projektplanung ist (fast) immer adaptiv, sie wird den realen Gegebenheiten angepaßt. Kleinere Kostenüberschreitungen sind ebenfalls "normal".
Bei Grossprojekten, die in der Vergangenheit von der öffentlichen Hand finanziert wurden, gab es allerdings während der Projektausführung regelmässig deutliche bis massive Kostensteigerungen. Drei Beispiele, die zum Thema passen (Quelle: www.wikipedia.de):
Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg. Plan 1977: 8,05 Mrd. DM, tatsächliche Kosten 11,8 Mrd. DM.
Schnellfahrstecke Hannover-Berlin. Plan 1991: 4,5 Mrd. DM, tatsächliche Kosten 5,1 Mrd. DM.
Schnellfahrstecke Köln-Frankfurt. Plan 1995: 3,96 Mrd. €, tatsächliche Kosten 6,0 Mrd. €.
Zumindest das erste und das dritte Beispiel (Steigerungen um rund 50%) kann ich mir in der Privatwirtschaft kaum vorstellen. Bei den öffentlichen Grossprojekten schienen diese Überschreitungen aber fast System zu haben und immer nach demselben Muster abzulaufen: Die dem Projekt wohlgesonnenen Entscheidungsträger in der Politik haben in allen Fällen dafür gesorgt, dass die Mehrkosten ohne viel Aufheben aus Steuermitteln ersetzt wurden.
Beim Projekt Stuttgart 21 wurde deshalb erstmals ein grosszügig bemessener Kostenrahmen zum Abdecken von Unwägbarkeiten oberhalb der eigentlichen Projektkostenschätzung eingeführt, die bekannten 4,526 Mrd. €. Tatsächlich ist nun dieser Rahmen bei Baubeginn praktisch schon ausgeschöpft, und es ist eigentlich nur noch eine Frage des Zeitpunkts, wann dieser Kostendeckel erreicht ist.
Für ein Projekt, das sich auf eine breite Zustimmung stützen kann, wäre das wahrscheinlich nicht mal so schlimm. Dann hätte es aber auch keinen Anlass gegeben, Risiken fürs Projekt im Vorfeld unterzubewerten, so wie das bei S21 wohl unter dem Eindruck der massiven Kritik am Projekt passiert ist.Problematisch ist es, wenn kein ordentliches oder falsches Risikomanagement betrieben wird. Wer alle Risiken von vorneherein proaktiv ausschließen will, plant eventuell mit zu hohen Risiko-Eintrittswahrscheinlichkeiten. Schon in der Planung wird das Projekt zu teuer, dauert zu lang, wird daher nicht umgesetzt.
Wer aber von höherer Stelle die Vorgabe bekommt, das Projekt auf jeden Fall zum Kostenrahmen X zu planen und zum zeitpunkt T abzuschließen, läuft schnell in Gefahr, Risiken unterzubewerten.
Genau das ist mit Sicherheit bei S21 passiert.
Welche Risiken in einem Projekt genau eintreten, läßt sich aber nie vorher sagen - daher ist es nicht möglich, den genauen Verlauf exakt vorherzusagen - man kann nur planen, wie man es gerne machen würde und dabei genug Reserven einzuplanen, um am Schluß Deadline und Kostendeckel noch einzuhalten.
Bei S21 reicht halt vermutlich schon ein plötzlich entdeckter schützenswerter Käfer oder eine plötzlich entdeckte Gippskeuper-Schicht, um die Planung als zu optimistisch zu enttarnen
Im Fall S21 können die Projektträger aber nicht mehr auf Nachsicht bei den Politikern oder grösseren Teilen der Öffentlichkeit hoffen: Die bekannten Risiken werden von den Projektgegnern minutiös aufgezeigt und der Lauf der Dinge verfolgt, z.B. unter de.wikireal.org. Alle Landtagsfraktionen haben sich auf den Kostendeckel festgelegt. Alles andere als eine Punktlandung bei den Kosten und eine halbwegs termingerechte Fertigstellung (hängt beides eng zusammen) wird zu einem grossen Knall führen, bei dem ich nicht in der Haut der Projektträger stecken möchte...
73 de Uli