ardey.fm hat geschrieben: ↑So 7. Nov 2021, 22:30
In ehemals hörenswerten Programmen wie SRF4 News wird einem dieses neuartige Parteichinesisch ja noch penetranter um die Ohren gehauen - *kotz*.
Echt? Ich hatte Anfang dieses Jahres Lockdown-bedingt länger in Stuttgart festgesessen und mir dort eine provisorische Empfangsanlage eingerichtet, mit der ich die 101,50 MHZ vom Säntis einfangen und gut hören konnte. Ich tat das auch häufiger und mir fiel bei den Nachrichten, die bei SRF 1 und 4 ja identisch sein müssten, sehr positiv auf, dass hier nicht so stark gegendert wurde, wie man es aus bundesdeutschen Medien kennt.
Allerdings räume ich ein, dass vielleicht jeder irgendwas anderes als störend empfindet. Ich komme nicht mit den Sprechpausen (wie im Deutschen Radio) klar und finde es angenehm, wenn stattdessen (wie im Schweizer Radio) etwas weniger agressiv gegendert wird. Hört man in Deutschland oftmals von Politiker*innen, sind es in der Schweiz dagegen meist die Politikerinnen und Politiker. Das ist zwar länger, aber es kommen immerhin nur Wörter vor, die auch tatsächlich existieren.
Gegen diese Art von Gendern, die die weibliche und die männliche Form gleichermaßen verwendet, habe ich eigentlich nichts einzuwenden, haben wir es hier doch mit zwei ähnlich großen Gruppen (Männern und Frauen) zu tun, die aufgrund ihres etwa gleich häufigen Vorkommens auch ruhig gleich stark in der Sprache berücksichtigt werden können. Mich stört nur einfach das Zerhacken bestehender Wörter.
Ja, ich weiß, dass es jetzt wahrscheinlich wieder um die Diversen geht, die sich dann ja weder von dem Einen, noch von dem Anderen angesprochen fühlen. Hier ist dann, bei aller Toleranz, aber schon mal der Punkt erreicht, an dem meine Rücksicht Grenzen kennt.
Ich zum Beispiel bin von Geburt an blind und habe in meinem sozialen Umfeld viel mit anderen Blinden zu tun. Keinem von uns würde es in den Sinn kommen, sich darüber zu beschweren, dass immer von "vorbeischauen", "abgucken" oder "Wiedersehen" die Rede ist, weil wir das nicht als Problem empfinden und uns eigentlich immer mit angesprochen fühlen. Mehr noch, wir verwenden diese Begriffe ganz selbstverständlich in unserer Kommunikation.
Anderes Beispiel: Mir ist nichts darüber bekannt, dass sich der Großteil der Medien so rücksichtsvoll gegenüber Homosexuellen verhält, wie es hier mit denen passiert, die sich von dem Sternchen angesprochen fühlen sollen. Es wird doch nahezu überall das klassische Bild der Mann-Frau-Beziehung propagiert, einfach, weil es die Lebensrealität des überwiegenden Teils der Bevölkerung wiederspiegelt.
Die große Mehrheit schaut eben schnell mal was nach, verwendet die Bezeichnung "Schatz" für eine Person komplimentären Geschlechts und fühlt sich mit der männlichen oder der weiblichen Form eines Wortes angesprochen. Daraus resultierend hätte man jetzt zwei Möglichkeiten:
Man könnte zum Einen so konsequent sein und Gruppen wie die oben genannten mindestens genauso sehr berücksichtigen, schließlich gibt es weit mehr Behinderte oder Homosexuelle als Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können. Das würde allerdings zu Problemen führen, denn wenn der Blinde sich von Wendungen, die sich auf die visuelle Wahrnehmung beziehen, nicht angesprochen fühlt und daher auf Formulierungen mit "Hören" besteht, geht als nächster der Taube auf die Barekaten, weil er jetzt genau das umgekerhte Problem hat. Und in den Medien müsste man dann alles, was auf Paarbeziehungen Bezug nimmt, in mehrfacher Ausführung produzieren, also mit einer Frau und einem Mann, mit zwei Frauen, mit zwei Männern und so weiter.
Man könnte aber zum Anderen auch einfach verstehen, dass allgemeine Formulierungen oder Darstellungen nun mal nicht genau auf einen Menschen zugeschnitten, sondern eben allgemein sind. Damit sollche allgemeinen Aussagen oder Darstellungen aber die Lebensrealität möglichst vieler Leute wiederspiegeln, wird sich hier eben an der Mehrheit orientiert.
Wenn also nach der Mehrheit formuliert wird, hat das nichts mit Ignoranz oder Bosheit zu tun. Die Defizite von Menschen mit Behinderungen werden nicht übergangen, nur weil jemand eine sprachliche Wendung benutzt, die auf das bezug nimmt, was man nicht kann. Niemand spricht sexuell anderweitig orientierten Menschen ihre Art der Sexualität ab, wenn er das heteronormative Rollenbild verwendet und es sagt eben auch keiner etwas dagegen, dass sich Leute einem anderen Geschlecht als den beiden großen zuordnen, nur, weil er keine Sternchen schreibt oder spricht. Jeder kann sich, wenn er sich von einer allgemeinen Formulierung nicht angesprochen fühlt, immer noch seinen Teil denken und die betreffende Aussage im Geiste genau auf seine Situation zuschneiden, aber es ist utopisch, von jedem zu erwarten, dass er auf alle Eventualitäten und Befindlichkeiten Rücksicht nehmen kann, wenn er zu einer größeren Gruppe von Menschen spricht. Hier ist dann Toleranz auch mal bei jenen gefragt, die sie sonst auf der anderen Seite meist einfordern.