Hallo!
diddi321123 hat geschrieben: ↑Di 23. Apr 2019, 09:23
Ich habe mal eine Frage zum Konzept eines Privatradios. Ich habe das Beispiel FFN in Niedersachsen.
Nun fällt zunehment auf, dass diesen Sendern wohl nichts mehr an Hörerzahlen liegt, obwohl diese ja eigentlich deren Kapital sind.
Nein, dem ist nicht so. Es gibt da nämlich in den Medien allgemein in der Tat ein sehr erstaunliches und für mich auch noch nach vielen Jahren unverständliches Phänomen, dass ein Angebot offenbar besonders gut angenommen wird, wenn es möglichst niedrige Qualität aufweist. Das hat man im Printsegment mit der Bildzeitung als auflagenstärkstes Magazin in Deutschland, das hat man im Fernsehen, wo sich die Programme von RTL II großer Beliebtheit erfreuen und das hat man eben auch im Radio, wie du ja selbst festgestellt hast.
diddi321123 hat geschrieben: ↑Di 23. Apr 2019, 09:23
Die Musikauswahl ist sehr dürftig, die Moderationen derartig unprofessionell und diese ganzen Aktionen halten sicher auch keine Hörer bei Laune. Es nervt irgendwann doch sehr und bringt die meisten Hörer zum Ab- oder Umschalten.
Das sollte man eigentlich denken, aber der Großteil der Radiohörer scheint nicht so zu denken. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die Radio nur noch so kennt, wie es eben von FFN und Konsorten in den Äther gepustet wird. Unter diesen Menschen gibt es zwei Fraktionen: die eine hat für sich festgestellt, dass es im Radio nichts Interessantes mer für sie gibt und ist tatsächlich auf die eigene Musiksammlung umgestiegen. Auch, wenn das natürlich traurig ist, kann ich das bis zu einem gewissen Grad noch nachvollziehen, gerade dann, wenn man Radio nur auf die Sender beschränkt, die aus dem Küchenbrüllwürfel (ein foreninterner Begriff für kleine Radios mit schlechtem Klang und eben solchen Empfangseigenschaften) hereinkommen. Man könnte sich jetzt zwar die Mühe machen, sich wie wir eingehender mit dem Radio zu beschäftigen, aber das tut eben leider fast keiner. Die meisten Leute wissen ja noch nicht einmal, dass Radioprogramme nicht grundsätzlich so klingen müssen wie die meisten Privatsender und in zunehmenden Maße auch die öffentlich rechtlichen Popwellen.
Und dann wäre da die andere Gruppe, die die Radioprogramme, wie sie von dir beschrieben werden nicht nur als gegeben ansieht, sondern das, was da aus den Empfängern dudelt auch noch gut findet. Auf eben solche Hörer, die mit derartigen Programmen sozialisiert wurden, die keine anderen Programmstrukturen kennen und die deswegen auch keine andere Vorstellung eines Radioprogramms haben, ziehlen diese Sender ab. Das Erschreckende: es scheint offenbar recht gut zu funktionieren.
diddi321123 hat geschrieben: ↑Di 23. Apr 2019, 09:23
Die nun gelaufene "Osterhitparade" bei ffn ist so daneben und lässt an der Glaubwürdigkeit des Senders zweifeln. So ist die Playlist mit den "1000 von euch gewählten Songs" eigentlich seit Jahren identisch und beinhaltet ein paar neuere Songs, die die Aktualität ein wenig hervorbringen sollen. Am Ende soll diese Liste dann unter anderem mit Sesamstraße und Schnappi etwas lustig gehalten werden.
Wenn man sich diese Liste auf der HP mal genauer ansieht, fällt einem eigentlich auf, dass diese Liste unmöglich eine Auswertung von Hörerwünschen sein kann. Wenn man diese Liste mal mit Hörerwunschhitsendungen wie die Osternasen auf N-Joy oder das Wilde Wunschhitwochenende auf NDR1 NDS vergleicht, merkt man direkt, dass in der Liste Stücke fehlen, die eigentlich nicht fehlen können. Ich möchte N-Joy oder NDR1 NDS nicht glorifizieren und behaupten, diese Sender seien besser oder Ähnliches, nein, ich finde derartige Wunschsendungen nur authentischer, da dort Songs gespielt werden, die man zum Beispiel nur noch auf Feten aber niemals im regulären Radio hört.
Da wären wir beim nächsten Punkt: Viele Hörer wünschen sich tatsächlich die Lieder, die sowieso schon das ganze Jahr über laufen. Ich meine mal gelesen zu haben, dass beispielsweise beim Saarländischen Rundfunk bei Wunschsendungen schon darauf geachtet werden muss, dass nicht immer nur die selben Titel gespielt werden. Hier hat man allerdings das Glück, dass es immer noch ein paar wenige, aber treue Hörer gibt, die sich wirklich außergewöhnliche Sachen wünschen.
Die Privatsender profitieren allerdings davon, dass ihren Hörern größtenteils nichts anderes einfällt als das, was sie sonst auch zu hören bekommen. Da können sich dann die Verantwortlichen zurücklehnen und sagen: "Wir spielen das, was unsere Hörer hören wollen. Das sehen wir ja an unseren Wunschsendungen, in denen sich unsere Hörer genau das wünschen, was wir senden. Diese Wunschsendungen helfen uns dabei, den Musikgeschmack unserer Hörer noch besser einschätzen zu können, so dass wir nur die Musik spielen, die unsere Hörer auch wirklich hören wollen. Das zeigt sich an den Wunschsendungen,..." Hörer, die sich dann etwas ausgefallenes wünschen, passen natürlich nicht ins Konzept. Um das ganze aber noch ein bisschen originell wirken zu lassen, werden eben solche Titel wie die von dir angesprochenen Kinderlieder gespielt. Damit zieht man das Ganze aber auch wieder ins Lächerliche, nach dem Motto: "Das ist ja mal ganz nett, aber das wollt ihr doch wohl nicht wirklich jeden Tag hören. Da spielen wir doch so viel bessere Musik, gell?"
Richtig wäre hier, ein Mittelmaß zu finden. Ich denke keines Falls, dass man mit der kleinen Rotation, wie sie bei den meisten Hitradios, Antennen und wie sie noch alle heißen vorherrscht, auch nur noch einen Blumentopf gewinnen kann. Andererseits muss man doch auch nicht allen möglichen Unsinn spielen, nur weil er komplett im Gegensatz zum herkömmlichen Programm steht. Das Mittelmaß ist hier wichtig.
Durchhörbarkeit bezeichnet im Dudelfunk gewöhnlich die Eigenschaft, nur Lieder zu spielen, die jeder kennt und die keinem weh tun. Nach meiner Definition bedeutet es aber nichts anderes als dass man versuchen sollte, alzu große Sprünge in der Musikauswahl zu vermeiden. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch mal einen Titel spielen kann, der zwar gut ins Format beziehungsweise zum vorhergehenden Lied passt, der aber nicht unbedingt schon mal die Hitparade angeführt hat.
Und selbst, wenn zwei Musikstücke nicht so recht zueinander passen wollen, ist der Moderator gefragt, um eine passende Überleitung zu machen und die Hörer mitzunehmen. Ein großartiges Beispiel war dafür eine Sendung des Hessischen Rundfunks im September 2017, die auf HR 1, HR 3 und HR 4 zeitgleich ausgestrahlt wurde. Weil im Funkhaus am Dornbusch in Frankfurt eine Bombe entschärft wurde, konnten HR 1 und HR 3 nicht aus ihren eigentlichen Studios senden und schalteten sich auf HR 4 auf. Weil man aber auch die Hörer des ersten und dritten Programms nicht vergraulen wollte, machte man einfach ein Gemeinschaftsprogramm mit Moderatoren und Musik aller drei Programme.
Was sich im ersten Moment sehr gewagt anhört, war in Realität eines der besten Programme, die ich bis jetzt vom HR gehört hatte. Dadurch, dass man über den eigenen musikalischen Tellerrand hinausschaute, wirkte die Sendung horizonterweiternd, ohne dabei zu belehren. Dazu eben die Moderatoren, die ihr Handwerk alle samt gut verstanden und es fertig brachten, dass sowohl die Musik, als auch die Hörer aller drei Programme in friedlicher Coexistenz lebten. Es war quasi für jeden etwas dabei. Auch darüber schrieb man seiner Zeit im Forum, siehe hier:
viewtopic.php?f=4&t=29374&hilit=Bombenentsch%C3%A4rfung
Von den Hörern soll es angeblich fast ausschließlich positive Reaktionen gegeben haben, weil das Programm einfach ungewohnt vielfältig war. Ich bin mir fast sicher, dass manch ein HR 3 Hörer, der das vierte Programm sonst meidet, wie der Teufel das Weihwasser festgestellt haben dürfte, dass ja gar nicht alles, was unter der Bezeichnung Schlager läuft so schlimm ist, wie er bisher angenommen hatte.
Genau das ist es, was ich mir vom Radio wünsche: Es soll seine Hörer überraschen, soll ihnen zeigen, dass es so viele interessante Themen und Musikrichtungen gibt, die es zu entdecken gilt.
diddi321123 hat geschrieben: ↑Di 23. Apr 2019, 09:23
Ist das das richtige Konzept, oder geht das Radio irgendwann durch solche Sachen vor die Hunde?
Spannende Frage! Ich denke, noch wird sich das Radio eine Zeit lang über solche Hörer, die es nicht anders kennen und deshalb auch nichts vermissen über Wasser halten, aber es wird zunehmend brenzliger, denn die Leute, die dem Radio eines Tages den Rücken zugewand haben und seit dem hörfunkabstiment sind, werden immer mehr und es ist eine schwere Aufgabe, diese wieder zurück zu holen.
Ich hatte vor einem guten halben Jahr schon einmal etwas dazu geschrieben und auch aufgezeigt, was meiner Meinung nach für das Radio und dessen weiteren Erhalt wichtig ist:
viewtopic.php?f=4&t=19183&p=1474090&hil ... u#p1474090
the jazzman hat geschrieben: ↑Di 23. Apr 2019, 11:25
Während die Bedeutung des (Dudel-)Radios immer weiter abnimmt und sich vor allem jüngere Hörer dem Streaming zuwenden, scheint es immer noch einen Kern treuer Hörer zu geben, die es dennoch "toll" finden und weiter hören. Dabei scheint es egal zu sein, ob 20% von 100.000 Hörern oder 20% von 50.000 Hörern einschalten. 20% sind 20%. - So kommt es mir vor.
Eben das ist diese Sichtweise, die dem Radio oder zumindest den Programmen, die so agieren eines Tages teuer zu stehen kommen wird. Ich weiß derzeit aber noch nicht klar zu sagen, ob das nur ziemliche Naivität oder gar Kindergartendenke ist, frei nach dem Grundsatz: "Wenn ich die Augen zu mache, ist das Problem nicht mehr da."
Es tut mir herzlich leid, dass dieser Beitrag so derartig lang geworden und ausgeufert ist, aber dieses Thema mit all seinen Fassetten liegt mir nun einmal einfach am Herzen.