Auch in Niedersachsen selbst gibt es heute wieder Aktionen: Landwirte blockierten am Morgen das Aldi- und das Amazon-Zentrallager. Beide Blockaden waren nicht angemeldet, wie die Polizei mitteilte. Offenbar waren auch Handwerker und Spediteure bei der Aktion dabei. Auch in Cloppenburg gibt es eine Protest-Aktionen: Dort sind die Zufahrten zu Lidl betroffen. 50 Fahrzeuge beteiligen sich laut Polizei an der Blockade. Die Landwirte fordern faire Preise für ihre Produkte.
www.ndr.de/nachrichten/info/Bauernprote ... te204.html
Aus allen Stellungnahmen geht hervor, dass es den Landwirten um mehr als die Streichung von Subventionen geht.
Vieles davon ist durchaus nachvollziehbar, wenn man sich die vernünftigen Stimmen anhört. Manches ist aber auch aus der Zeit gefallen. z.B die Befreiung von der KFZ Steuer. (seit 1922 !)
Seit 1922 gibt es diesen Steuervorteil für Bauern mittlerweile. Eingeführt wurde das Steuer-Geschenk, um die Motorisierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Die Bauern von damals sollten sich Fahrzeuge leisten können, statt weiter auf Pferde und Ochsen als Zugtiere setzen zu müssen. Das Ziel der technischen Modernisierung auf dem Land ist längst erreicht und die Steuerbefreiung somit aus der Zeit gefallen.
www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/ ... r-AA1mIbC7
Die Proteste reihen sich in einen seit Jahrhunderte lang bestehendes Konfklikfeld zwischen Liberalen auf der einen und Konservativen auf der anderen Seite ein. Freiheit des Handels, internationaler Wettbewerb gegen Protektionismus, Subventionen und Zölle.
Die von den Bauern erhoffte Solidarisierung mit dem Handel und der Logistik hat in unterschiedlichen Interessenlagen ihre Grenzen. Letzlich muss der Verbraucher auf seine Seite gezogen werden. Mit einigen der aktuellen Aktionen werde diese aber verprellt. Das Gefühl, ohnmächtig, benachteiligt und über den Tisch gezogen zu werden, kennen diese auch. Das teils verlorene Vertrauen wegen allerlei Lebensmittelskandalen und rücksichtsloser Massentierhaltung gewinnt man damit nicht zurück. Der Verbraucher verlangt nach Kontrolle, weil es den direkten Kontakt zum Bauern ja kaum nocht gibt. Kontrolle hat aber auch immer Bürokratie zur Folge.
Ich guck gerne bei diesem Thema auch mal in die Geschichtsücher. Die Rolle der Landwirte war immer schillernd, genauso wie deren Interessenlagen. Der kleiner Bauer im Nebenerwerb, wie es im Umfeld von Stadthagen seit den Bergbauzeiten üblich war, wird anders gesehen, als die Großagrarier und Massentierhalter im Oldenburger Münsterland mit einer mächtigen Lobby dahinter.
Landwirtschaft schafft in Deutschland gerade mal 1% der gesamten Wirtschaftsleistung. Dennoch sind sie natürlich eine relevante Größe im ländlichen Raum, die auch als Wähler umworben wird. Im Schaumburger Land war mir im letzten Bundestagswahlkampf aufgefallen, dass der örtliche CDU Kandidat massiv die Nähe zu den Bauern in dern kleineren Dörfern suchte mit vielen Großplakaten,.In den städtischen Gebieten aber längst nicht so präsent war. Das konnte nur in die Hose gehen. Bei der Landtagswahl der gleiche Fehler. Kampfkandidatur in der CDU zwischen Bürgermeisterin und Landwirt aus dem Agrarhochburg in Diepholz. Der Wahlkreis ging erstmals nach seiner Bildung an die SPD. Ist es das, was den Landwirten Sorge macht ? Ihre Macht ist den letzten Jahren auch in den Parlamenten erheblich geschrumpft.
Exkurs.
Blick in die historische Mottenkiste kurz vor dem 1.Weltkrieg: Der sogenannte Bülow Block bei den "Hottentottenwahlen" 1907
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BClow-Block
Nachdem die Parlamentsmehrheit vor allem aus Zentrum und Sozialdemokraten einen Nachtragshaushalt für die Weiterführung des Krieges in Deutsch-Südwestafrika verweigert hatte, wurde der Reichstag aufgelöst, und vorzeitige Wahlen wurden anberaumt.
Daraufhin bildeten Konservative und Nationalliberale sowie Linksliberale ein Wahlbündnis, um den Reichskanzler von Bülow zu unterstützen. Es war ein Abwehrbündnis gegen das katholische Zentrum und vor allem gegen die dynamische Sozialdemokratie.
Dieses Bündnis war schnell brüchig aus verschiedenen Gründen. Manches kommt einem heute immer noch sehr aktuell vor:
Der Block zerbrach schließlich 1909 am Scheitern der Reichsfinanzreform. Das Problem der Reichsfinanzen hatte sich mit den wachsenden Staatsausgaben etwa durch die Sozialpolitik und den Flottenbau verschärft. Die Hauptfrage war seit langem, ob das Reich das Recht erhalten sollte, eigene direkte Steuern zu erheben. Alle bisherigen Finanzreformen hatten dieses Problem auf die lange Bank geschoben, dies war angesichts der Haushaltslage nun nicht mehr möglich. Notwendig war es, künftig jährlich 500 Millionen Mark aufzubringen.
Die Liberalen waren der Meinung, dass dies wenigstens teilweise nur über direkte Steuern möglich sei. Die Regierung stellte einen Gesetzentwurf vor, der neben Konsumsteuern auf Tabak, Bier und Schnaps, die zusammen vier Fünftel des Gesamtvolumens ausmachten, auch eine Erbschaftssteuer vorsah. Diese traf auf den entschiedenen Widerstand der Konservativen, die dabei in der Öffentlichkeit vom Bund der Landwirte massiv unterstützt wurden. Dieser sprach gar von drohenden Enteignungen. Grundsätzlich wollten die Kritiker einem nach demokratischem Wahlrecht gewählten Reichstag keinen Zugriff auf Besitzsteuern einräumen. Die Konservativen machten ohne jeden Zweifel deutlich, dass sie bei Beibehaltung der geplanten Erbschaftssteuer den Block platzen lassen würden. Auch Peter Spahn vom Zentrum kündigte die Ablehnung seiner Partei an.
Die Frage der Erbschaftsteuer hat die Öffentlichkeit polarisiert. Nicht zuletzt die Demagogie der Landwirtschaftsbünde führte zur Gründung des liberalen Hansabundes. Im Reichstag stimmten die Konservativen, das Zentrum und die Vertreter der Polen gegen die Vorlage; die Liberalen und die Sozialdemokraten dafür. Die Mehrheit (bei der Erbschaftssteuer 194 zu 186) war damit gegen von Bülows Gesetzentwurf.
Der Hansabund zeigt auch diesen Konflikt zwische Liberalen und Konservativen :
https://de.wikipedia.org/wiki/Hansabund
Der Hansabund hatte nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Ziele. Er wollte das Bürgertum und die öffentliche Meinung gegen die Agrarier mobilisieren, plädierte für eine neue, nicht mehr die Landbevölkerung bevorzugende, Wahlkreiseinteilung; er wandte sich gegen planwirtschaftliche Politik und versuchte, die liberalen Parteien zu gemeinsamen Positionen zu bewegen. Der Bund repräsentierte darüber hinaus zeitweise eine Zusammenarbeit des Liberalismus mit den gemäßigten Kräften der Sozialdemokratie. Der Hansabund wollte eine Koalition der Mitte gegen die Rechte und war dafür bereit, im begrenzten Ausmaß auch mit der Linken zusammenzuarbeiten. Bei den zahlreichen Stichwahlen drängte der Hansabund darauf, im Zweifel lieber einen Sozialdemokraten als einen Konservativen zu unterstützen.
Dauerhaft stabil war diese Bündnis aber auch nicht, auch wenn es erst 1934 aufgelöst wurde.