PAM hat geschrieben: ↑Di 4. Okt 2022, 21:02
Die Flüssiggas-Importe über den Seeweg sind nur ein Bruchteil des Bedarfs.
Naja, 33% des Vorkrisenbedarfs würde ich nicht als Bruchteil bezeichnen. Aktuell sind knapp 30 Mrd. m³ Kapazitäten in Bau - bei einem Jahresbedarf im Inland von 90 Mrd m³. Dazu kommen Pipeline-Importe aus Norwegen (2020 waren das 31 Mrd m³ sowie aus Benelux (2020 ca. 13 Mrd m³). Die Importe aus Norwegen sind leicht angestiegen, die aus Benelux (über auf diesen Weg angebundene Flüssiggasterminals in Westeuropa) liegen mittlerweile sogar höher als die aus Norwegen - das dürften >35 Mrd m³ werden. Nur die Inlandsförderung stagniert bei unter 6 Mrd. m³ p.a.
Rein rechnerisch sind damit aber >90 Mrd m³ möglich. Die Preissituation wird sich hier auch wieder beruhigen, dazu gab es ja bereits einige Vorhersagen. Der Day Ahead Gaspreis am THE lag gestern bei 128,5 € pro GWh - das ist noch ca.70% höher als Anfang Februar. Die Futures liegen noch deutlich höher, aber sind seit Ende August auch nur am Absinken - schon deutlich mehr als 50%.
Erdgas gibt es eigentlich derzeit genug - viele Vorkommen wurden aber bisher kaum ausgebeutet, weil das billige Pipeline-Gas aus Russland jede Investition abgewürgt hat. Wie Länder wie Südkorea oder Japan zeigen, ist der Preisunterschied aber nicht so hoch, dass die Nutzung gänzlich wirtschaftlich unattraktiv wäre - und auch Europa bezieht schon immer LNG. Aber im Zweifel nahm man eben lieber das Gas aus Russland. Eigentlich wird LNG auf der Upstream-Seite gerade eher zu attraktiv - denn den Klimawandel stoppt man damit sicher nicht. Upstream-Projekte gibt's auch in Pipeline-Reichweite, insbesondere rund um das östliche Mittelmeer. Auch hier werden gerade bekanntlich Pipeline- und LNG-Projekte vorangetrieben. Insofern: Der Markt regelt hier tatsächlich so einiges.
Außer für Russland: Die sind auch im Gaspoker unterm Strich die Verlierer. China kann nur einen kleinen Teil der entfallenen Liefermengen aufnehmen - von den 300 Mrd m³, die Russland 2021 exportiert hat, gingen 180 Mrd m³ per Pipeline nach Europa. 400 Mrd. m³ braucht Russland selbst. Die 180 Mrd m³ bekommen sie nicht weg - China wird über Power of Siberia ca. 40 Mrd m³ abnehmen können, die Altai-Pipeline (50 Mrd m³) soll erst ab 2024 überhaupt gebaut werden. Und mit dem chinesischen Markt war's das dann auch schon. Es gibt keine anderen großen Abnehmer in Pipeline-Reichweite. Und bei allen anderen (LNG-)Abnehmern konkurriert Russland mit den anderen "großen" Playern, die oft weit günstigere Küstenzugänge haben - und eben auch riesige Reserven (nicht nur Iran und Katar, z.B. auch Turkmenistan, Saudi-Arabien. VAE, Venezuela, Nigeria, Algerien, Australien, Kanada, Ägypten, ... )
Und natürlich sind die Entlastungspakete keine Wohltaten, sondern steuerfinanziert - damit aber im Wesentlichen von den stärkeren Schultern, die davon mehr zahlen, getragen. Der Return of Invest dürfte deutlich positiv sein!
Abgesehen davon: Räder zurück drehen klappt nicht. Man kann eh nur nach vorne schauen - und dazu gehört eben, endlich einzusehen, die Energiewende so schnell wie nur möglich voran zu treiben. Jede kWh Erdgas, die nicht mehr in Kraftwerke gehen muss, ist ein Zugewinn. 2022 lag der Anteil der Erneuerbaren an der Gesamt-Stromproduktion in Deutschland schon bei bisher 51,5%. Vor allem dank eines massiven Anstiegs der Solarstrom-Produktion. Wenn man Windkraft nicht so ausgebremst hätte, wäre hier Vieles noch besser. Aber das soll ja kommen. Und der Abbau bürokratischer Ausbau- und Einspeisehindernisse (Stichwort 70%-Regel) dürfte nochmal einiges bringen.