Kernkraft ja würde bedeuten: Wir müssen neue Kernkraftwerke bauen. Die guten alten Anlagen haben wir großteils abgeschaltet oder in den letzten Jahren auf Verschleiß gefahren. Nötige Investitionen für einen Weiterbetrieb über das Jahr 2022 hinaus wurden weder in Personal noch Technik noch Brennstoffe getätigt.
Die bestehenden Atomkraftwerke produzieren Stand 2022 ca. 30-35 TWh Strom pro Jahr: (1485 MW Isar 2 + 1400 MW Neckarwestheim + 1400 MW Emsland)*8760h - abzüglich Wartungszeiten. Sie ersetzen potentiell 7% unserer Erdgasimporte und tragen zu einem vergleichbar hohen Anteil an der Gesamtstromproduktion teil.
Das ist die Ausgangssituation heute.
Ich halte es mit Helmut Schmidt und FJS: Atomkraft ist eine Übergangstechnologie, bis uns genug Energie aus Sonne und Wind zur Verfügung steht. Der Kernkraftbefürworter Schmidt hat dies schon 1979(!) so formuliert - mit der Begründung, dass wir ansonsten unser Klima ruinieren.
Wenn wir die fossilien Energieträger durch AKWs ersetzen wollen, benötigen wir dafür circa 20-25 neue Atomkraftwerke oder ca. 30 GW Leistung. Das dürfte zwischen 200 und 300 Milliarden € kosten, wenn man die Baukosten aktueller AKW-Projekte in Europa als Maßstab nimmt. Ganz ohne Entsorgung und andere Ewigkeitskosten, Brennstoffe, etc.
30 GW Offshore-Windkraft kosten ebenfalls 120 Milliarden € - onshore ist billiger, aber weniger effizient.
Fehlt noch die Speichertechnologie für Lastspitzen - die braucht Kernkraft als reine Grundlasttechnologie aber auch. Windkraftanlagen kann man schnell ab- und anschalten (wenn die Steuerungstechnik nicht gerade ausfällt...
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Aus wirtschaftlicher Sicht ist Atomkraft also nur bedingt sinnvoll.
Dem gegenüber stehen die Risiken. Im Risikomanagement betrachtet man immer mehrere Faktoren:
- Die Kosten bei Eintritt eines Risikos
- Die Wahrscheinlichkeit zur Abwendung des Risikos
- Die Kosten zur Eindämmung des Risikos.
Wie hinnehmbar ein Risiko ist und wie viel man dagegen tut, ist immer von diesen 3 Faktoren abhängig.
Hier verliert Kernkraft aber ganz ganz schnell an Boden: Die Kosten bei Eintritt des Risikos "unkontrollierte Kernschmelze" sind unüberschaubar. Hier reden wir nicht von Milliardenschäden, sondern von Billionenschäden. In Richtung der Hauptwindrichtung liegt bei uns nicht der Pazifik, sondern das nächste Ballungszentrum. Die Suppe wird nicht vom Pazifik verdünnt, sondern fließt Rhein- Donau- oder Elbabwärts und verseucht das Grundwasser auf lange Zeit.
Wie wahrscheinlich ist das? Nun, bisher sind weltweit wohl keine 1000 Atomreaktoren gebaut und betrieben worden (zumindest laufen derzeit nur etwas über 400). Mindestens 2 davon sind bisher mit einem Super-GAU geendet. Risikoeintrittswahrscheinlichkeit: >0,2%.
Frage: Wenn jeder 500. Flug mit einem Absturz enden würde, würde man dann noch aus Spaß mit dem Flieger verreisen?
Gegenmaßnahmen? So sicher machen, dass nix passieren kann. Fukushima war so ein sicheres KKW, andere mit "schwächeren" Störfällen auch. Naja auf dem Papier. Auch KKWs vom Tschernobyl-Typ sind relativ sicher, solange keiner einen Fehler macht. Den Rest kennen wir.
Neue Reaktortechnik mag das können - aber wann wäre der erste Reaktor fertig, der intrinsisch sicher ist? Zu welchen Kosten? Noch teurer als der EPR? Mit ähnlichen Bauzeiten von >10 Jahren? Würde man sich heute für neue KKWs in D entscheiden, wäre das erste frühestens 2035 verfügbar - je nach Technologie noch später. 2040 ist realistischer: In Finnland hat man mehr als anderthalb Jahrzehnte gebaut... Bis dahin wollen wir aber schon längst weitgehend aus der fossilen Stromerzeugung raus. Und wir reden ja von 20-25 oder mehr Reaktoren.
Nehmen wir als Risikoabwendungsmethode für den Atomunfall die Perfektionierung der Technik und den Ersatz alter Reaktoren durch neue (weil die alten eh schon abgerissen sind, kommt die Überlegung sowieso zu spät), so sind die Kosten zur Risikoeindämmung extrem hoch. Sie liegen vermutlich bei weit über 200 Milliarden €. Für 200 Milliarden € bauen wir deutlich mehr On- und Offshore-Windkraft und Solarenergie auf, als wir als Leistungsäquivalent für 20 AKWs benötigen. Die Überschüsse wandelt man in Wasserstoff oder sogar in Methan - mit letzterem ließen sich bestehende Gaskraftwerke, Heizungen und Industrieprozesse klimaneutral weiterbetreiben. Da ein Gutteil der Wind-Kapazitäten weit weg liegen wird, wird diese Umwandlung sowieso passieren.
Auch hier ist es natürlich ganz richtig, dass auch eine Windkraftanlage havarieren kann. Dadurch können tatsächlich Menschen oder Tiere zu Schaden kommen. Aber wie viele? Die Schadenssummen sind doch überschaubar. Es werden keine ganzen Landstriche auf Jahrzehnte unbewohnbar, es müssen nicht tausende Firmen schließen und Millionen Menschen flüchten.
NEUinvestitionen in Kernkraft kommen viel zu spät, um damit vom Klima zu retten, was noch zu retten sein könnte. Das damit verbundene Risiko steigt mit der Geschwindigkeit der Investition: Neue Technologien brauchen noch länger zur Einführung als bestehende. Es sind Großprojekte, die die Komplexität von Vorzeigeprojekten wie BER, S21 oder ElPhi weit übersteigen. Der einzige Ausweg aus der Klimakrise besteht aus meiner Sicht kurzfristig in einem massiven Ausbau schnell aufbaubarer Alternativen wie Wind, Sonne, etc - und in Einsparungen, z.B. durch Wärmepumpen zumindest in Neubauten und leicht umstellbaren Bauwerken.
Ein Sonderfall ist die Abwendung einer kurzfristigen Energiekrise im nächsten Winter bei Ausbleiben von Gaslieferungen aus Russland und/oder einer verspäteten Inbetriebnahme der LNG-Terminals. Hier wäre der Weiterbetrieb der drei verbliebenen Reaktoren tatsächlich eine Option. Die Frage ist nur: Geht das überhaupt? Wie viel Energie können die Brennstäbe überhaupt noch liefern, steht genug Personal zur Verfügung, sind womöglich Wartungszyklen überfällig? Hier fehlt für mich schlichtweg noch eine plausible Machbarkeitsklärung. Dann, nur dann, wäre eine Verlängerung der Laufzeit um 3 Monate - also bis zum Beginn des Frühjahrs mit reduziertem Erdgasbedarf -, sinnvoll. wenn das nur dann sinnvoll geht, wenn diese 3 Reaktoren 2-3 Jahre weiter betrieben werden: Durchaus eine Option. Fast komplett neue Brennstäbe "wegwerfen" wäre auch Blödsinn. Neue Sicherheitstechnik für 3 Monate zu installieren: Blödsinn. wenn es nicht anders geht: Nutzen, so lange sinnvoll und nötig.