Es hätte einen dritten Weg gegeben, das Zeitfenster dafür war klein und es lag im Frühjahr 2022. Damals lag - ich erinnere nochmals daran - eine diplomatische Lösung auf dem Tisch. Später hatte sie der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger mal recht umfassend skizziert: Demnach wäre die Krim russisch geblieben und die "Volksrepubliken" im Donbass autonome bzw. russisch kontrollierte Gebiete geworden. Das
damalige Einfrieren des Frontverlaufs hätte der Ukraine weite Teile der Schwarzmeerküste und damit den für den Außenhandel extrem wichtigen Seezugang erhalten. Die Kernforderung des Rückzugs russischer Truppen vom verbleibenden Staatsgebiet der Ukraine, wäre hierbei erfüllt worden. Den NATO-Beitritt hätte es keinesfalls gegeben, der Ukraine wäre eine militärische Neutralität geblieben, ggf. auf Basis mehr oder weniger vertrauenswürdiger Sicherheitsgarantien. Selbst den EU-Beitritt hätte es geben können - den sehe ich aber unverändert in unerreichbarer Entfernung.
Der so genannte "Westen", allen voran der damalige britische Premierminister Boris Johnson, stellten aber klar, dass man bei der Annahme dieser diplomatischen Kriegsbeendigung die Ukraine schutzlos fallen lassen würde. In diesem Zusammenhang bliebe auch zu zweifeln, ob der Verhandlungsfriede gehalten hätte, würde der Westen die Ukraine sich selbst überlassen und ihr jedwede Unterstützung entziehen. Es wäre durchaus denkbar gewesen, dass sowohl die russische, als auch die ukrainische Seite sich wenig später nicht mehr an die ausgehandelten Vereinbarungen gebunden gesehen und die Gunst des Augenblicks für einen Überraschungsschlag genutzt hätte. Aber auch damals hätte bereits klar sein müssen, dass der Westen die Ukraine nicht unendlich und erst recht nicht kostenlos mit Waffen, Munition, militärischem und geheimdienstlichem Wissen usw. unterstützen würde. Die USA haben ihr Engagement erheblich zurückgefahren, was auch angesichts anderer Abhängigkeiten und Notwendigkeiten (u. a. ggü. Israel) zu erwarten war. Die EU-Unterstützung allein bringt nicht das, was die Ukraine fordert bzw. sich erhofft. Und selbst das wird, trotz des jüngsten Milliardenpakets, auch irgendwann bröckeln. In einigen EU-Ländern wird bald gewählt, die Wahl zum EU-Parlament steht an - beide dürften die bisherigen Mehrheitsverhältnisse sowohl in den jeweiligen Ländern verändern, auch im EU-Parlament.
Auf dem Weltmarkt kann die Ukraine jedenfalls nicht in größerem Maße einkaufen, nüchtern betrachtet müsste sie alsbald den Staatsbankrott erklären. Spätestens dann, wenn die EU-Milliardenunterstützung wegfallen sollte. Augenblicklich sind die Argumente in Verhandlungen über eine diplomatische Kriegsbeendigung eher auf russischer Seite. Käme es jetzt zu Verhandlungen, bliebe es beim jetzigen Frontverlauf und den schmerzlich verlorenen Schwarzmeergebieten. Ob die Ukraine künftig einen unbeeinträchtigten Seezugang behielte, darf auch angezweifelt werden. Es wäre denkbar, dass die russische Seite zum Schutz ihrer Schwarzmeerflotte auf Sperrzonen bestehen würde, die auch zivile bzw. Frachtschifffahrt in diesen Regionen unmöglich machen würde.
Die Position der Ukraine im Stellvertreterkrieg für den Westen ist derzeit jedenfalls denkbar bescheiden. Der Rückhalt wird eher schwinden, denn wachsen. Die lautstark thematisierten Einsätze von NATO-Truppen kämen einem Kriegseintritt gleich. Hätte man das gewollt und die Eier dazu gehabt, wäre das Frühjahr 2022 der Zeitpunkt dafür gewesen. Aber: Es gab und gibt
keinen NATO-Bündnisfall. Es gab und gibt kein UN-Mandat - und das wird es wegen mehrerer zu erwartender Vetos auch nicht geben. Auch sonst sähe das Völkerrecht kein Einsatzszenario - abgesehen von humanitärer Hilfe. Daran ändert nichts, dass der russische Angriff ebenso völkerrechtswidrig ist. Dass bereits eine durchaus ernstzunehmende Zahl westlicher Spezialisten in oder für die Ukraine militärisch und geheimdienstlich arbeiten, dürfte ja bekannt sein.
Sollte es jetzt oder demnächst doch zu einem diplomatischen Kriegsstillstand bzw. -ende kommen, dürften von den Ukrainern, die sich ins Ausland absetzen konnten, wenige ein Rückkehrinteresse haben. In die derzeit russisch besetzten Gebiete gibt es ohnehin kein Zurück, das nicht zeitgleich die Annahme der russischen Staatsangehörigkeit bedeuten würde. Zu erwarten wäre auch, dass insbesondere die jüngeren, die derzeit noch im Land sind und/oder zur kämpfenden Truppe gehören, das Land verlassen. Jene, deren Heimat in den russisch besetzten Gebieten liegt, hätten gar keine andere Wahl. Es wäre zu erwarten, dass ihnen nicht einmal die Wahloption bleiben würde, zum Preis der Rückkehr die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Eher ist zu erwarten, dass Russland sie auch selbst nach einem Vertragsfrieden als Staatsfeinde betrachten würde.
frank.koriander hat geschrieben: ↑Do 14. Mär 2024, 11:54
@Habakukk: Das Schwierige in der ganzen Debatte ist, dass es wohl wahrhaftig keine Wahl gibt: Entweder die Ukraine gewinnt den Krieg und erreicht alle seine Ziele oder umgekehrt Russland. Einen dritten Weg gibt es nicht. Und wenn Russland den Krieg nach sage ich mal 15 Jahren gewinnt, ist es der maximale Schaden, den man anrichten kann, denn das hätte man dann alles auch unblutiger haben können.
Ich sehe dennoch keine Möglichkeit, dass die Ukraine den Krieg selbst mit maximal möglicher Unterstützung und ohne fremde Truppenbeteiligung gewinnt. Es sei denn man schafft ein zweites Afghanistan, da dauerte es 10 Jahre, bis die Russen abgezogen sind (ich glaube das ist die Hoffnung vieler, dass Russland nach ewig langer Zeit merkt, dass man nicht weiter kommt und dann die Truppen abzieht). In diesem Fall reden wir aber noch weiter von ungeheurer Zerstörung und Millionen Toten. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Das ist aber halt auch das Problem des ganzen Krieges: Die Wahl zwischen weiter mit Krieg auf der einen und Russland gewinnt und die Waffen ruhen auf der anderen Seite ist letztlich wie die zwischen Pest und Cholera.
Meine "Wunschlösung" ist immer noch eine innenpolitische in Russland: Volksaufstand, jemand knallt Putin ab, er stirbt früher oder was auch immer. Halte ich aktuell für realistischer als einen ukrainischen Sieg mit Waffenlieferungen. Was nicht bedeutet, dass es realistisch ist.