Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

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maroon6
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Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von maroon6 »

In der FAZ gibt es heute einen interessanten Artikel (leider für Nicht-Abonnenten hinter einer Bezahlschranke), wo kritisch die Strategie des "Präventionsparadox" hinterfragt wird. Dabei geht es um "Horror-Prognosen" in der Corona-Pandemie á la "Wenn wir jetzt nicht alle auf soziale Kontakte verzichten, haben wir im Mai bis zu 200.000 neu infizierte und viele Tote". Wie wir nun wissen, ist das alles so nicht eingetreten. Einige Medien wie der Spiegel sehen das sogar als Teil des Erfolgs: Erst durch die bewusste Inszenierung eines Horrorszenarios trat eine weitere Sensibilisierung ein. Jeder hat zweimal überlegt, ob das Treffen mit der besten Freundin oder die Shoppingrunde, sofern überhaupt möglich, nun tatsächlich sein muss.

Ich habe einen eigenen Thread daraus gemacht, da es dieses Phänomen ja auch über Corona hinaus gibt, auch bei Themen wie Klima wird oft bewusst mit Horrorszenarien gespielt, um Menschen für einen Lebenswandel zu sensibilisieren. Im letzten Jahr etwa wurde während der Hitzeperiode die Sau "Trinkwasserknappheit" medial durchs Dorf getrieben. Außer einigen regionalen Brunnen, die nicht an ein großes Netz angeschlossen waren, waren die Trinkwasservorräte jedoch nie wirklich gefährdet. Trotzdem haben viele damals z.B. auf Gartensprenger verzichtet oder den Pool nicht befüllt.

Daher meine Frage: Was haltet ihr davon, Menschen mit Worst Case Szenarien, die möglicherweise nie eintreten, zu sensibilisieren? Ist das ein legitimes Mittel?

Aus eigener Erfahrung aus der Kindheit (ich bekam öfter irrationale Angst eingeredet - "wenn du das oder jenes nicht tust, dann passiert dieses und jenes") sehe ich das ganze kritisch, auch wenn es wirkungsvoll scheint.
zerobase now
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von zerobase now »

Dazu sollte man vielleicht mal die katholische Kirche befragen. Die kennen sich mit dem Thema seit 2000 Jahren ganz gut aus. :joke: :)

So Paradox finde ich das übrigens gar nicht. Tatsächlich kann so eine "Horror Prognose" ganz schnell eintreffen. Wie schnell sowas gehen kann, hat man bei Corona in Brasilien oder Indien oder zu Anfang auch in Italien gesehen. Ich halte das daher für ein legitimes Mittel um die Bevölkerung über mögliche Konsequenzen frühzeitig zu "informieren". Man nimmt mögliche Konsequenzen schonmal quasi bildlich vorweg.

Trinkwasser wurde in den letzten beiden Sommer tatsächlich schon in einigen Regionen knapp. Das man das das Befüllen von Pools, Autowaschen u.a. verboten hat, war nötig. Es hatte ja wochenlang nicht geregnet und Wasser ist nunmal, auch in Deutschland, endlich. Man brauchte sich nur die Talsperren anzugucken, dann wusste man Bescheid. Teilweise waren die Vorräte auf ein drittel zusammengeschrumpft.
das letzte MHz
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von das letzte MHz »

maroon6 hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 13:17Wie wir nun wissen, ist das alles so nicht eingetreten.
Präventionsparadox ... du verwendest das Wort und verstehst offenbar dessen Bedeutung nicht :rolleyes:

Teils über 30.000 Neuinfektionen pro Tag, teils vierstellige Todeszahlen pro Tag und das alles trotz Präventionsmaßnahmen. Nun sag doch mal was passiert wäre, wenn es keine Präventionsmaßnahmen gegeben hätte.
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Chris_BLN
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von Chris_BLN »

Aus meiner Sicht ist es ein Akt der Ehrlichkeit, die in bestimmten Situationen bei bestimmten Verhaltensweisen maximal eintretenden Gefahren / Schäden / Konsequenzen zu vermitteln. Wenn man dazu vermittelt, unter welchen Umständen es dazu kommen kann und es gelingt, das möglichst didaktisch brauchbar darzustellen, ist das eine große Hilfe für eine demokratische Gesellschaft als ganzes und auch für den einzelnen Menschen.

Das sind auch keine "Horroszenarien", sondern realistische, auf Fakten und Rechnungen basierende Beschreibungen.

Die Klimaforschung macht das seit Jahrzehnten und wurde lange Zeit weitgehend ignoriert durch die Öffentlichkeit. Inzwischen sind die Folgen hierzulande schon spürbar - anderswo auf diesem Planeten noch viel mehr.

Bei Covid19 haben wir alle noch in Erinnerung, wohin Leugnung und Ignoranz der Maßnahmen führt. Unser sehr gut ausgebautes Gesundheitssystem hat uns mehrfach regional haarscharf an der Katastrophe vorbeischrammen lassen. Indien hat da weniger Glück.

Ist ein atomarer Super-GAU ein "Horrorszenario"? Ich finde schon - so rein gefühlsmäßig betrachtet. Trotzdem war und ist Tschernobyl wahr und wenn auch nicht direkt auf gleichem Wege, dann doch auf etwas anderem Wege, da andere Reaktoren, wäre das überall auf diesem Planeten möglich, wo Atomkraftwerke betrieben werden. ich halte es deshalb für sehr wichtig, auf die grundlegenden Gefahren der Atomwirtschaft und der Atomenrgie hinzuweisen. Immer und immer wieder.

Auch im Kleinen: was passiert, wenn in einer Unternehmenshierarchie eine Kultur herrscht, bei der die sprichwörtlichen Alarmlampen einfach rausgeschraubt wurden, weils so unangenehm ist, wenn jemand "negatives" prognostiziert? Habe ich erlebt - als jemand, der unmittelbar am Produkt und mit den Kunden zu tun hatte, blieb mir einst nichts anderes, als darauf hinzuweisen, dass die gelieferte Produktqualität außerst mangelhaft ist und die Kunden nur wegen massiver Knappheit am Markt kaufen, und zwar zähneknirschend. Ich bin damit erst nicht angehört worden vom Management, dann wurde mir direkt signalisiert, man sei "auf diesem Ohr taub" (!), dann wurde ich offen verhöhnt auf der Silvesterfeier vor versammeltem Team (mehrere 100 Leute), indem die Live-Band gebeten wurde, ein bekanntes Lied von Reinhard Mey zu covern (was sie auch konnten und taten), das sich zur Verarschung meiner Person wegen eines darin vorkommenden "Schlüsselwortes", das auch auf unsere Produktqualität zutraf und vielen bekannt war, gut eignete. "Hey Chris, Dein Lied!"

Das war Mitte Dezember. Mitte Januar war großes Meeting mit Hauptkunden aus Asien. Tagsüber Gespräche und Verhandlungen, abends sollte es in ein Edel-Restaurant gehen. Als ich dort ankam, saßen der Werksleiter und der Produktionsleiter mit bedeppertem Blick alleine rum - ohne die Gäste. Die waren schon abgereist. Und hatten einseitig die Langfristverträge gekündigt - wegen der Produktqualität. Da begann eine harte Zeit, die dann auch noch zum Zerbrechen des Joint Ventures führte. Und warum? Weil eine aus den gesammelten Fakten ableitbare Projektion auf die Zukunft monatelang nicht ernstgenommen wurde.

Oder im ganz kleinen, persönlichen Bereich. Was ist das "Horrorszenario" für Graffittisprayer im Eisenbahnbereich? Erwischt zu werden? Überfahren zu werden? Also nee, sowas passiert doch nicht. Die passen doch auf. Ich saß mal an einem glutheißen Freitagabend vor Berlin im ICE fest. Böschungsbrand, auf der Umleitungsstrecke war Signaltechnik gestohlen worden (Kupferdiebe), da ging auch nichts mehr. Dann erfuhren wir noch, dass das allgemein kein guter Tag war in der Region:
https://www.stern.de/panorama/weltgesch ... 39496.html
https://www.welt.de/vermischtes/weltges ... lueck.html

Das ließe sich fortsetzen.

"Paradox" ist an der Pandemie übrigens nichts. Ebensowenig, wie es paradox ist, dort, wo die Eisenbahn-Hauptstrecke über die Bundesstraße geht, eine Schrankenanlage zu haben, obwohl doch nie jemand mit einem Zug kollidiert ist. Da hätte man die Schranke ja auch weglassen können...
ulionken
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von ulionken »

maroon6 hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 13:17 Daher meine Frage: Was haltet ihr davon, Menschen mit Worst Case Szenarien, die möglicherweise nie eintreten, zu sensibilisieren? Ist das ein legitimes Mittel?

Grundsätzlich finde ich es legitim, solche Worst-case-Szenarien zu diskutieren. Man sollte aber immer dazu sagen, dass das Prognosen sind für das, was unter bestimmten Annahmen mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit passieren könnte, wenn man nichts unternimmt, und nicht etwa wissenschaftlich zu 100% abgesicherte Erkenntnisse. Mir ist klar, dass dieses Relativieren eine Wirkung auf viele Leute haben wird wie "die wissen eh nichts Genaues, also schere ich mich auch nicht darum".
maroon6 hat geschrieben: Aus eigener Erfahrung aus der Kindheit (ich bekam öfter irrationale Angst eingeredet - "wenn du das oder jenes nicht tust, dann passiert dieses und jenes") sehe ich das ganze kritisch, auch wenn es wirkungsvoll scheint.
Diese Schauermärchen aus der Kindheit kenne ich auch. Sie verlieren sehr nachhaltig ihre Wirkung, wenn sich auch nur einmal rausstellt, dass die Gefahr völlig übertrieben wurde.

Ich denke, man sollte ehrlich sagen, was nach menschlichem Ermessen passieren kann, wenn man so eine existenzielle Gefahr völlig ignoriert (Beispiel Brasilien) oder sie vorschnell als beseitigt erklärt (Beispiel Indien), aber auch dazu sagen, dass es nicht nur einen Weg gibt, mit der Gefahr umzugehen.

73 de Uli
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maroon6
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von maroon6 »

ulionken hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 14:58 Grundsätzlich finde ich es legitim, solche Worst-case-Szenarien zu diskutieren. Man sollte aber immer dazu sagen, dass das Prognosen sind für das, was unter bestimmten Annahmen mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit passieren könnte, wenn man nichts unternimmt, und nicht etwa wissenschaftlich zu 100% abgesicherte Erkenntnisse.
Damit könnte ich auch sehr gut leben. Wenn wir nicht das und jenes machen, KÖNNTE das und jenes passieren. Ich habe mir einige Briefings von Wieler/Spahn usw. angeschaut, da war der Wortlaut aber immer so, dass es definitiv passieren WIRD, Es WERDEN Tausende Menschen sterben, wenn wir nicht...

Ich könnte nun auch hingehen und sagen: "Bitte, verzichtet wann immer ihr könnt darauf, den Straßenverkehr zu nutzen. Nie gab es so wenig Verkehrstote wie im Moment, vor allem Jugendliche sterben fast gar nicht mehr auf der Straße, weil sie viel weniger unterwegs sind. Daher bleibt, wann immer es geht, zu Hause. Autofahren, Radfahren, aber auch als Fußgänger unterwegs zu sein, ist brandgefährlich. Wenn ihr euch nicht weiter daran haltet, werden wir schon bald viele Tausend Verkehrstote haben. Es werden ganz viele Menschen im Straßenverkehr sterben. Jeder, der sich auf ein Fahrrad, Mofa, Motorrad oder in ein Auto setzt, gefährdet sich und andere. Es wird viele schlimme Unfälle geben. Und jeder wird dann trauern, um eure Eltern, Großeltern, Geschwister, Kinder oder Enkel. Und diejenigen, die es überleben, werden wahrscheinlich lebenslange Schäden davontragen". Klingt nicht anders.

Generell finde ich Vorgaben wie die des Bundesinnenministeriums für verwerflich, um ein Ziel zu erreichen. Ich zitiere: "Der Worst Case ist mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland un-missverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen". Hier nachzulesen: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/down ... onFile&v=6

Eines habe ich aber auch bemerkt: Wie von dir geschildert hat das ganze nach einer Zeit an Schrecken verloren. Irgendwann kamen dann auch wieder Freunde, die sich auf Zeit komplett distanziert hatten, weil sie bemerkt haben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schlimmes passiert, nun doch bei weitem nicht so hoch ist. Aktuell bemerke ich aber wieder weit mehr Vorsicht in unserem Umfeld. Freunde, die bisher "ganz normal" bei Treffen agierten, tragen nun bei privaten Treffen Maske, lüften etc. oder verzichten ganz auf den Kontakt. Ich schätze, es hat damit zu tun, dass es auf die Impfungen zugeht, da wollen viele nicht noch in letzter Sekunde was riskieren.
DH0GHU
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von DH0GHU »

maroon6 hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 13:17 In der FAZ gibt es heute einen interessanten Artikel (leider für Nicht-Abonnenten hinter einer Bezahlschranke), wo kritisch die Strategie des "Präventionsparadox" hinterfragt wird. Dabei geht es um "Horror-Prognosen" in der Corona-Pandemie á la "Wenn wir jetzt nicht alle auf soziale Kontakte verzichten, haben wir im Mai bis zu 200.000 neu infizierte und viele Tote". Wie wir nun wissen, ist das alles so nicht eingetreten. Einige Medien wie der Spiegel sehen das sogar als Teil des Erfolgs: Erst durch die bewusste Inszenierung eines Horrorszenarios trat eine weitere Sensibilisierung ein. Jeder hat zweimal überlegt, ob das Treffen mit der besten Freundin oder die Shoppingrunde, sofern überhaupt möglich, nun tatsächlich sein muss.
Schon diese Einleitung geht komplett am Thema vorbei, d.h. sie beschreibt den Begriff des Präventionsparadox schon komplett falsch.
Unter dem Präventionsparadox wird verstanden, dass aufgrund einer Maßnahme gegen ein Ereignis ein Ereignis nicht eintritt, und das Nichteintreten des Ereignisses (fälschlicherweise) als Beleg für die Überflüssigkeit von Maßnahmen herangezogen wird.

Die Beschreibung von Worst-Case-Szenarien hingegen, die Du kritisierst, ist schlichtweg eine Beschreibung von Worst-Case-Szenarien.
Die Beschreibung von Maßnahmen gegen Worst-Case-Szeneraien ist schlichtweg eine Beschreibung möglicher Maßnahmen gegen Worst-Case-Szenarien.
Und das wurde sogar so kenntlich gemacht!
Ein Horror-Szenario wäre davon dann noch mal abzugrenzen. Ein Horror-Szenario ist quasi die Steigerung von Worst-Case-Szenarien, die abweichend vom zu erwartenden Verlauf noch eine ganze Reihe unglücklicher Zufälle annehmen, die für sich schon wenig wahrscheinlich, in Kombination aber extrem unwahrscheinlich sind. Zum Beispiel, dass gleichzeitig zur Pandemie eine Jahrtausendflut an Rhein, Donau und Elbe gleichzeitig Millionen Menschen in Notunterkünfte ohne Abstände treibt, dabei sämtliche Intensivstationen überflutet werden, und durch einen Vulkanausbruch gleichzeitig die Sonneneinstrahlung so gedämpft wird, dass auch noch alle massiv unter Vitamin-D-Mangel leiden - und Bolsonaro WHO-Chef wird. Das wäre dann ein Horrorszenario.


Was Du dann ggf. in Frage stellst, ist die Richtigkeit der Beschreibung des Worst-Case-Szenarios. Den Beweis über die Richtigkeit des Worst-Case-Szenarios, oder dessen Falsifizierung, kann man aber NUR antreten, indem man das Worst-Case-Szenario auch zulässt. das würde im Beispiel Corona aber nur funktionieren, wenn wir mehrere absolut identische Parallelwelten hätten. Wir wissen nicht, ob es ohne soziale Distanzierungsmaßnahmen am Ende 100.000, 200.000 oder sogar 800.000 Tote gewesen wären. Wir werden es zum Glück nie erfahren. Wir können auch nicht sagen, ob die Kollateralschäden der Prävention schlimmer sind als die Schäden, die ohne Prävention eingetreten wären. Wir können allenfalls Vergleiche ziehen oder Modelle rechnen, und die Modelle ggf. durch Messdaten genauer machen.
In der Technik ist das oft anders. Bei einem Transistor-Verstärker kann ich genau berechnen, dass er bei einer Worst-Case-Lastimpedanz schwingen wird - ich kann auch vorhersagen, dass er dabei kaputt gehen wird. Ich kann das nachmessen. Ich kann dann einfach einen zweiten Transistor nehmen, präventive Stabilisierungsmaßnahmen in der Beschaltung einfügen, und damit beweisen, dass die Prävention einen Vorteil bringt. Ein Transistor ist halt weniger wert als eine Bevölkerung, deshalb kann ich mir da vielleicht auch "Versuch macht klug" als Taktik erlauben.

Du siehst aber an dem Beispiel auch, dass es eben so ist, dass ich oft davon ausgehen kann, dass ein Szenario so eintritt. Das gilt auch bei der Pandemie. Ein bischen haben wir sie ja laufen gelassen und geschaut, ob das Worst-Case-Szenario eintritt - wir haben dann nur irgendwann, wieder analog zum Transistor - die Schwingung gedämpft.
"Wenn wir nichts tun, werden sich Weihnachten jeden Tag 19200 Menschen infizieren" - ja vielleicht ein Worst-Case-Szenario. Man hat dann erstmal eine Weile gemessen und gesehen: Ja, es ist so schlimm, es ist sogar schlimmer. Man hat dann darauf verzichtet, die Messreihe bis Weihnachten fortzusetzen, sondern Not-Aus gedrückt. Aber man hatte da schon den BEWEIS, dass es so schlimm ist - die 19200 hat man schon vorher erreicht. Modellrechnungen wurden bestätigt oder eher noch über-bestätigt. Wenn sie bis X halbwegs gelten, gelten sie auch bis 3x.

Abschließend: Die 200.000 Toten hätten wir wohl spielend erreicht, es genügt ein Zahlenvergleich in anderen Ländern mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur.
Seien wir froh, dass es Leute gibt, die
- wissen, was das Präventionsparadox ist,
- nicht darauf reinfallen
- und rechnen können...
- und dabei auch noch Verantwortung übernehmen.
Über die Detailfehler können wir dann gerne noch jahrelang diskutieren, die GRUNDSÄTZLICHE Stoßrichtung war richtig.

Horror-Szenarien wurden tatsächlich kommuniziert - aber nie von Regierungsseite. Bei mir hängen geblieben sind u.a. diese Beispiele:
- Es ist viel tödlicher als die Chinesen uns erzählen, die fallen reihenweise auf der Straße tot um, wir brauchen sofort den totalen Lockdown (Social Media, ca. Februar 2020)
- Es ist ein Killervirus aus dem Labor, der sich nicht stoppen läßt (auch Social Media)
- Es ist sehr wahrscheinlich, dass es keinen Impfstoff geben wird (Streeck)
- Die Eliten/NWO/Blabla nutzen das, um die Macht zu übernehmen und euch mundtot zu machen (Querioten)
- Es wird im Sommer 2020 keinen Urlaub geben (User dieses Forums).
- Es wird im Sommer 2021 keinen Urlaub geben (User dieses Forums).


Horror-Szenarien sind keine gute Basis für Entscheidungen.
Um in einer unklaren Situation eine Entscheidung treffen zu können, benötige ich aber sehr wohl
- Den Best Case
- Den Worst Case
und eine Strategie zum Umgang damit. Eine Entscheidungs-/Strategiefindung ohne Berücksichtigung des Worst Case Szenarios (inklusive seiner Auswirkungen und seiner geschätzten Eintrittswahrscheinlichkeit) ist schlicht nicht seriös.
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Habakukk
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von Habakukk »

@DH0GHU:
Danke! :spos:
:danke:
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Habakukk
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von Habakukk »

maroon6 hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 13:17 In der FAZ gibt es heute einen interessanten Artikel (leider für Nicht-Abonnenten hinter einer Bezahlschranke), wo kritisch die Strategie des "Präventionsparadox" hinterfragt wird.
Den würde ich tatsächlich gerne lesen, gerne auch mit Bezahlschranke davor. Link dazu herzlich willkommen!
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das letzte MHz
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von das letzte MHz »

Habakukk hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 19:11
maroon6 hat geschrieben: Mo 17. Mai 2021, 13:17 In der FAZ gibt es heute einen interessanten Artikel (leider für Nicht-Abonnenten hinter einer Bezahlschranke), wo kritisch die Strategie des "Präventionsparadox" hinterfragt wird.
Den würde ich tatsächlich gerne lesen, gerne auch mit Bezahlschranke davor. Link dazu herzlich willkommen!
Meine Glaskugel sagt, er könnte diesen Artikel meinen:

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ ... 41996.html

@ Habakukk: PM du haben :sagnix:
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maroon6
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von maroon6 »

So ganz allgemein meinte ich freilich eher das "Präventionsparadox-Paradox" :-)

https://www.welt.de/kultur/plus23120133 ... gIn-Sv1SXU

Quote: "Horrorprognosen dienten dazu, die schlimmsten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik zu rechtfertigen. Dass sie nicht eintrafen, soll nun am Präventionsparadox liegen. Das aber ist pseudowissenschaftlicher Unsinn."

Ansonsten, guter Beitrag, Ulrich. Ja, es wird immer fraglich bleiben, was passiert wäre, wenn es die Maßnahmen nicht gegeben hätte. Klar auch: Je mehr man geöffnet hätte, umso mehr Tote hätte es gegeben. Aber es wird auch nie eine offizielle Zahl geben, wie viele Opfer die Maßnahmen (direkt und indirekt) gefordert haben. Hier in Mainz hat der Inhaber eines Traditions-Geschäftes nun aufgegeben, nachdem er einen Herzinfarkt bekam. Er selbst sagt, das habe die Politik mit den Maßnahmen zu verantworten, da es ihm zuvor gesundheitlich gut ging. Wie viele Tote es durch Krebs oder Herz-/Kreislauferkrankungen aufgrund der Maßnahmen geben wird und ob diese tatsächlich der Grund sind, wird man nie beweisen können. Ähnlich sieht es bei Suiziden aus. Die bisherigen Statistiken erkennen hier wohl bisher keine Auffälligkeiten in Form von signifikanten Anstiegen.

Ich selbst hätte unabhängig von dem, was passieren würde, gerne ein paar ethische Mindeststandards definiert. Hessen hatte das ja gemacht, hier gab es für private Räume als besonders geschützten Raum nur eine Empfehlung, Kontakte zu reduzieren. Allgemein halte ich bei Kontakten zwei Haushalte als lebensreal. Alles andere (z.B. bei Besuch der Eltern muss Vater oder Mutter das Haus verlassen) war absolut lebensfern und in meinen Augen eine unfassbare moralische und ethische Grenzüberschreitung, ebenso in der ersten Pandemiewelle das Verbot selbst Ehe- oder Lebenpartner zu besuchen, falls man nicht in einem Haushalt lebt. Das kann und darf es nie mehr geben. Da kann ein Virus noch so tödlich sein: Nichts rechtfertigt eines solche Einschränkung.

Alles andere kann man machen, auch Worst Case Szenarien vermitteln, wenn man dann dazu sagt, dass es sich um Worst Case Szenarien handelt und nicht um etwas, das "definitiv eintreten wird". Allgemein habe ich seit Beginn der Pandemie meine Probleme mit wissenschaftlichen Berechnungen, da hier dummerweise nie der Faktor Mensch als soziales Wesen berücksichtigt wurde.
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von das letzte MHz »

maroon6 hat geschrieben: Do 20. Mai 2021, 08:57Quote: "Horrorprognosen dienten dazu, die schlimmsten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik zu rechtfertigen. Dass sie nicht eintrafen, soll nun am Präventionsparadox liegen. Das aber ist pseudowissenschaftlicher Unsinn."
Ja, genau, das sagt ein studierter Philosoph in einem als Meinung gekennzeichneten Artikel :rolleyes:
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von das letzte MHz »

Ach, eines noch maroon, ist dir bewusst, dass genau dieser Beitrag aktuell in einer Telegram Gruppe von Querdenkern verbreitet wird mit dem Aufruf ihn zwecks Zersetzung zu teilen? Übrigens lässt sich diese Telegram-Gruppe über einige Umwege zwei Reichsbürgern zuordnen (die Spur des Geldes :sagnix: ). Gleiches war übrigens auch schon bei deinem FAZ Artikel der Fall. Zufälle gibt es :rolleyes:
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Re: Horrorszenarien: Sind „Präventionsparadoxen“ legitime Mittel zur Sensibilisierung einer Bevölkerung?

Beitrag von maroon6 »

das letzte MHz hat geschrieben: Do 20. Mai 2021, 17:32 Ach, eines noch maroon, ist dir bewusst, dass genau dieser Beitrag aktuell in einer Telegram Gruppe von Querdenkern verbreitet wird mit dem Aufruf ihn zwecks Zersetzung zu teilen? Übrigens lässt sich diese Telegram-Gruppe über einige Umwege zwei Reichsbürgern zuordnen (die Spur des Geldes :sagnix: ). Gleiches war übrigens auch schon bei deinem FAZ Artikel der Fall. Zufälle gibt es :rolleyes:
Wundert mich nicht, da ALLE Artikel auch aus seriösen Quellen, die mal kritisch die Maßnahmen beleuchten, dort wohl geteilt werden. Soll ich dafür nun FAZ, Welt, FR und anderes auf die schwarze Liste stellen? Ich bin eher froh, dass der Journalismus mal wieder neutraler und kritischer ist und auch die "Gegenseite" beleuchtet, abseits von Beatmungsgeräten und Intensivstationen.

Der hier dürfte dann wohl bald auch der Renner in diesen Foren werden:

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaf ... fLFqy08zqo
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