Maxtech hat geschrieben:
Der Fall Kandel wurde tot geschwiegen.
Jetzt musste ich erstmal googeln. Ach so, ein Mord. Ach so, _der_ Mord.
Nun bin ich positiv überrascht: der SRF berichtet also normalerweise über jeden Mord, der sich in Deutschland ereignet. Das ist aufgrund der Tatsache, dass damit statistisch fast täglich über einen Mordfall in Deutschland zu berichten ist, eine grossartige Leistung. Wenn das der SRF auch mit den Mordfällen der anderen Nachbarländer so handhabt, kommt da ganz schön was an Meldungen zusammen.
Und ausgerechnet diesen Mord haben sie also verschwiegen. Das wiegt natürlich schwer.
Im Ernst: die spezielle Bedeutung dieses Mordes liegt zu einem geringen Teil darin, dass hier Minderjährige verstrickt waren. Zum größten Teil bekommt dieser Mord seine Bedeutung (= seine Wichtigkeit im Volk) davon, dass er nicht von einem "Volksgenossen" verübt wurde. Letztlich ist hier fast relevanter für eine Berichterstattung, wie die xenophoben, menschenhassenden Anteile des deutschen Volkes den ganzen Tag an den Nachrichtentickern hängen, um nach Hass-Gründen gegen nicht-Volksgenossen zu scannen. Werden sie fündig, krakelen sie herum. Finden sie nichts, dann erfinden sie skurrile Stories, halluzinieren wild herum ("der Freund von einem Bekannten einer Freundin meiner Schwester arbeitet bei der Polizei, der weiss es ganz genau und er sagt, die Polizei habe ein Verbot, darüber zu berichten" ). Ich kenne diese Stories, ich habe Nachbarn, die so drauf sind (und fühle mich gerade deswegen in der Schweiz an dem Ort, den ich da gerne und lange aufsuche, so wohl, weil dieser Ort frei davon ist, wir dafür aber oft Menschen aus aller Welt dort haben).
Morde, die von Deutschen verübt werden, bleiben hingegen üblicherweise folgenlos, es gibt keine Empörung im deutschen Volk.
Ein Beispiel: in meiner ostdeutschen Heimat sind im vergangenen November 2 junge Leute (Mädchen minderjährig, ihr Freund volljährig) per Anhalter mit einem Auto angekommen, wollten weiter und suchten eine neue Fahrgelegenheit. Die fanden sie spät abends: ein Mann kam aus einem Haus, um noch etwas aus seinem Auto zu holen. Als er sich in das Auto beugte, erstachen sie den Mann, legten ihn ins Auto und fuhren bis nach Hessen, wo sie die Leiche des Mannes in die Fulda warfen. Erst vor wenigen Wochen wurde das Opfer gefunden. Weder nach der Meldung von der Tat noch jetzt nach der Meldung des Fundes des Opfers gab es irgendwelche in der Öffentlichkeit erkennbaren Reaktionen. Nichts kochte hoch. Das ist halt einfach passiert, so what?
Wäre die Tat nicht von Deutschen, sondern von Ausländern begangen worden, hätte das bundesweit für Demonstrationen und Ausschreitungen gesorgt, wäre von den Rechten ausgeschlachtet und instrumentalisiert worden und wäre bis in den Bundestag gekommen. Und hätte der SRF dann nicht berichtet, wäre er halt "linkslastig". Es waren aber Deutsche und "Volksgenossen" dürfen das offenbar, glaubt zumindest das Volk.
Soweit Google News es hergibt, meldet der SRF fast nichts diesbezügliches aus Deutschland. Den gerade beschriebenen Mord offenbar auch nicht - und der ist einer der unfassbar kaltblütigsten Sorte.
Ein noch extremeres Beispiel: die Mordserie des NSU. Die hat in Deutschland zu nullkommagarkeiner Empörung und nullkommagarkeiner Betroffenheit in der Bevölkerung geführt. Außer den Journalisten, die sich seit Jahren berufsbeflissen daran abmühen, interessiert das fast niemanden. Dabei ist das, was da publik wurde, nur die Spitze des Eisberges.
Auch die faschistischen Pogrome, die es immer wieder mal an entsprechenden Brennpunkten in Ostdeutschland gibt, sind kein relevantes Thema in der Bevölkerung. Im Gegenteil: wer sich daran stört, wen es berührt, der gilt als "links" - und nicht einfach als "Mensch".
Da drüber müsste berichtet werden (und wird es auch hier und da). Anfang des Jahres beispielsweise im Tagesspiegel aus Berlin:
https://www.tagesspiegel.de/politik/rec ... 19834.html
Ist der Tagesspiegel jetzt auch "links", weil er schreibt, was real ist?