Werbeverzicht zum Überleben

Das Diskussionsforum für elektronische Medien in der Schweiz
Antworten
Reto

Werbeverzicht zum Überleben

Beitrag von Reto »

Bericht aus Persönlich:

Dass "nichtkommerziell orientierte" Radios kein Hort des Neoliberalismus sind, erstaunt kaum. Verblüffender ist hingegen, dass auch Privatradios an der Ausschaltung des Marktes mitarbeiten. Und zwar mit Segen und Unterstützung des Bakom. -- Warum die Marktverhinderung als "Win-Win-Win"-Situation empfunden wird:



"Diese Geschichte ist doch kalter Kaffee!", meint ein Branchenkenner, der von den Recherchen von "persoenlich.com" erfährt. In der Tat werden zwei der Schweizer Lokalradios nicht erst seit gestern direkt von ihren Konkurrenten mitfinanziert. So liest man auf der Website des Aarauer Regionalradios Kanal K schon seit längerem: "Radio Argovia zahlt einen Betrag als Kompensation, damit sich Kanal K aus dem Werbemarkt fernhält." Das gleiche Modell praktiziert das Luzerner Radio 3FACH, das für seinen Werbeverzicht Geld von den Radios Pilatus, Sunshine und Central erhält.

"Eine wunderbare, tolle Lösung", findet 3FACH-Marketingleiter Ritschi Blatter. "So machen wir einander in diesem kleinen Werbemarkt nicht kaputt." Blatters Freude ist verständlich, machen die insgesamt schätzungsweise 200'000 Franken Unterstützung doch mehr als zwei Fünftel des mit gut 460'000 Franken bezifferten Betriebsbudgets aus. Weitere 175'000 Franken erhält der Jugendsender aus dem Gebührensplitting, der Rest wird aus dem Gönnerclub und über Veranstaltungen erwirtschaftet.

Ähnlich ist die Situation bei Kanal K: Hier stammt die Hälfte des 550'000-Franken-Budgets vom Bund, vierzig Prozent steuert die Argovia-Besitzerin AZ Medien Gruppe bei, und zehn Prozent gehen von Mitgliedern und Spendern ein. "Wir sind mit diesem Modell sehr zufrieden", meint denn auch der Geschäftsführer von Kanal K, Michael Berger. Auf diese Weise könne sich Kanal K voll auf die Programmgestaltung konzentrieren, darüber hinaus müsse man keine Konzessionen an Werbetreibende machen. Zudem gebe es von Argovia "keinerlei Bevormundung", so Berger, der den Kontakt zur Geldgeberin als "sehr gut" empfindet.

"Die Lösung dient allen Beteiligten", pflichtet Argovia-Geschäftsführer Roland Baumgartner bei. -- Kein Wunder, ging doch die Initiative zum ungewöhnlichen Kooperationsmodell vor sieben Jahren vom Aargauer Marktführer aus. "Als wir uns damals um die Frequenz bewarben, tätigten wir auch bei Werbetreibenden Abklärungen", erinnert sich Michael Berger. "Argovia kam dann sehr schnell auf uns zu, weil man durch unsere tieferen Tarife eine Verunsicherung im Markt feststellte. Wir haben uns dann aber rasch gefunden." Baumgartner sagt heute: "Für uns ist gut, dass man uns nicht mit Dumping-Preisen unterläuft. Wir haben eine 'Win-Win-Win'-Situation."

Wobei Baumgartner mit dem dritten Gewinner das Bundesamt für Kommunikation meint. Denn auch beim Bakom, das an der Ausarbeitung des Deals massgeblich beteiligt war, herrscht Zufriedenheit. "Für uns als Konzessionsbehörde ist das ein sehr guter Vorschlag", sagt Alfred Hostettler, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bakom, und begründet: "Auf diese Weise ist die Finanzierung des nicht-kommerziellen Senders gesichert, gleichzeitig entfällt der Druck des Werbemarkts auf das Programm." Davon profitierten auch die Hörer.

Zudem besässen jede Partei ein Druckmittel gegenüber der anderen, so Hostettler weiter: Die Geldgeber könnten mit Zahlungsstopp drohen, die Empfänger mit dem Einstieg in den Werbemarkt. Letzterer wäre allerdings nicht so einfach, wie Hostettler einräumt. "Nicht kommerziell orientierte Radios", wie sie im Amtsjargon genannt werden, besitzen nämlich eine andere Konzession als voll kommerzielle. Der vollständige Werbeverzicht wird vom Bakom mit einem Anteil am Gebührenkuchen honoriert, wer wirbt, bekommt hingegen keine Staatsgelder. Eine Konzessionsänderung aber müsste vom Uvek als Konzessionsbehörde genehmigt werden -- und zwar auf der Grundlage der finanziellen Tragbarkeit. "Man müsste die Situation neu analysieren", bestätigt Hostettler.

Für Argovia-Chef Baumgartner wäre der kommerzielle Markteintritt eines Mitbewerbers verheerend: "Es gibt in unserem Kern-Einzugsgebiet, das maximal 200'000 potentielle Hörer umfasst, gar keinen Platz für zwei kommerzielle Veranstalter. Das würde uns schnell 30 Prozent der Hörer und somit auch der Erträge kosten, da der Marktpartner sein Programm ebenfalls den breiten Hörerbedürfnissen anpassen müsste. Die programmliche Qualität beider Veranstalter würde klar sinken", ist er überzeugt. "Die Realität hat gezeigt, dass man den Markt hier nicht spielen lassen kann, denn das führt langfristig nur zu weiteren Erhöhungen des Gebührensplittings, weil sich beide Veranstalter nicht mehr allein aus dem Markt finanzieren könnten." "Eine totale Liberalisierung führt zu Mainstream-Terror", glaubt auch Ritschi Blatter und zitiert als Beleg Neuseeland, dessen liberale Medienpolitik zu einem Einheitsbrei geführt habe.

Weniger pessimistisch gibt sich allerdings Michael Berger von Kanal K bezüglich der Marktchancen seines Senders: "Wir könnten als Nischenradio mit einer breiteren Finanzierungsform vermutlich überleben. So selbstbewusst sind wir." Immerhin besteht auch die Möglichkeit, als "schwach kommerziell orientiertes Radio" mit eingeschränkten Werbefinanzierung zu senden -- wenngleich mit dem Basler Radio X und dem Berner Radio Förderband zwei Sender mit diesem Modell scheiterten, und obschon selbst Bakom-Mann Hostettler das Überleben als schwach kommerzieller Sender als "sehr schwierig" beurteilt.

Dass "schwach kommerzielle" Radios indes durchaus funktionieren können, beweist indes der St. Galler Sender Toxic.fm. Der Sender, der aufgrund seiner Lizenz maximal einen Viertel seines Halb-Millionen-Budgets aus dem Gebührentopf decken kann, hat seine Vermarktung an die On Air Werbung AG ausgelagert -- nota bene die gleiche Firma, welche auch für den anderen St. Galler Sender, die Tagblatt-Tochter Radio Aktuell, akquiriert. "Das ergibt keine Probleme, unsere Hörergruppen überschneiden sich nicht", meint Toxic.fm-Geschäftsführer Urs Siegfried. Anzumerken ist, dass Radio Aktuell die Stiftung mitalimentiert hat. "Wir sind mit der gegenwärtigen Situation als schwach kommerzieller Sender zufrieden", so Siegfried. Die finanzielle Unabhängigkeit sieht er denn auch nicht als primäres Ziel, wenngleich man das Marktpotential natürlich voll ausschöpfen wolle.

Indes, nicht alle freuen sich ob der Pakts. Giuseppe Scaglione, Gründer und Geschäftsführer des nur im Kabelnetz verbreiteten Radio 105, schimpft: "Konkurrenz belebt. Wenn man den Markt dadurch ausschaltet, dass man seinen Konkurrenten kauft, so dient das keinem." Die Frequenzen seien knapp und daher mit grösster Effizienz zu nutzen, fügt Scaglione an.

Und genau diese Frequenzbewirtschaftung wird derzeit beim Bakom erörtert, wie Alfred Hostettler erklärt. Grund dafür ist die Tatsache, dass die gegenwärtig geltende Bundesrats-Weisung bezüglich der Ausgestaltung des UKW-Bereichs per Ende Jahr ausläuft -- und mit ihr auch alle Privatradio-Konzessionen. "Es wird in gewissen Gebieten Veränderungen geben", verrät Hostettler, ohne dabei aber präziser werden zu wollen. Immerhin beschwichtigt er: "Bestehende Veranstalter in den vorgesehenen Versorgungsgebieten können auch in Zukunft mit einer Konzession rechnen." Allerdings könnte allenfalls aber auch das neue RTVG Veränderungen bewirken.

Kalter Kaffee? Den Mund wird sich an diesem Gebräu einstweilen tatsächlich kaum jemand verbrennen. In den falschen Hals geraten könnte es bei den anstehenden Diskussionen aber allemal.
Antworten