Sender Wilsdruff wird abgerissen

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PAM
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Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von PAM »

:spos: Vielen Dank für deinen Beitrag und die vielen Details, die mir bisher nicht bekannt waren.
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102.1
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von 102.1 »

Chris_BLN hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 10:06
102.1 hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 01:43 Ich hielt wenig von der DDR und deren Gesinnung dort
Das hatte ich aus nem anderen Thread noch irgendwie dunkel in Erinnerung.

Ich Dich auch. Warum wohl?

Ich hatte die CSSR besser kennenlernen "dürfen" d.h. auch hinter den Kulissen der normalen Touristen, die sich dennoch trotz der politischen Situation ins Land wagten . Irgendwas an der DDR gut zu empfinden, oder auch zu relativieren ist für mich kompletter Unsinn oder vielleicht nur ein schlechter Versuch eines ehemaligen DDR Bürgers die Vergangenheit irgendwie zu verschönern.

Im Rundfunk und Fernsehen konnten die Behörden Westfernsehen in der CSSR nur mangelhaft verbieten, im Radio gerade mal mit der Einführung des OIRT Bandes dass es in der DDR nicht gab. Allerdings wie die Autos das Gepäck an der Grenze zerlegt und untersucht wurden, akribisch nach westlichen Zeitungen, Modezeitschriften, Reisemagazinen, war einfach abartig, abgesehen von der Verfolgung, Überwachen und Denunzierung innerhalb des Landes durch den Geheimdienst oder sonstige "Staatssicherheits" Organisationen, bis hin zur kompletten Fehlwirtschaft und Fehlversorgung in Supermärkten, stundenlanges Anstellen inklusive. Und nun erzähle mir nicht, in der DDR war's besser, es wäre eine blanke Lüge, Die DDR war sogar noch härter in ihrer Art als die CSSR, automatische Schussanlagen an der Grenze, und dessen Abbau erst gegen Geld von West-Deutschland. - diese Erpresserei bekam die CSSR dennoch nicht hin. Verzeihung, wenn Dir diese Darstellung zu direkt ist. Bananen oder Südfrüchte gab's dort auch kaum und die Suche nach Ersatzteilen im KFZ Bereich war dort genauso ein Thema wie in der CSSR.

Auch spielte der Sender Wilsdruff eine wichtige Rolle in der Verbreitung von Kommunismus und dessen Repressalien gegenüber der Bürger zur Zeit der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings.

Der Begriff "Ostalgie" ist für mich komplett unangebracht und menschenverachtend, ganz egal ob dieser in Deutschland positiv oder neutral bewertet wird. Etwa diese geistlose Idee aus "Ostblock" und "Nostalgie" irgendein dämliches Wort zu zimmern, und so zu tun, als ob in der DDR und dem menschenverachtenden System dort so irgendwas wie eine Romantik existierte. Und dann diese noch dümmliche Diskussion, die DDR war ja so gut, weil die Kinderbetreuung so gut war oder auch "wir hatten ja damals alles". Einfach nur krankhaft. Der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze war ja kein Akt menschlicher Freundschaft.

Ich bin dafuer, dass der Sender Wilsdruff umgänglich abgerissen wird, damit dort keine Pilgerstätte für irgendwelche DDR Ostalgiker entstehen kann. Das Grab von Rudolf Hess gibt's ja auch nichtmehr, aus gutem Grund.
Zuletzt geändert von 102.1 am Sa 3. Aug 2019, 14:08, insgesamt 1-mal geändert.
Chief Wiggum
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Chief Wiggum »

102.1 hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 14:00 Ich bin dafuer, dass der Sender Wilsdruff umgänglich abgerissen wird, damit dort keine Pilgerstätte für irgendwelche DDR Ostalgiker entstehen kann. Das Grab von Rudolf Hess gibt's ja auch nichtmehr, aus gutem Grund.
Herrlich. You made my Day.... :joke: :bruell:

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Cha
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Cha »

Chris_BLN hat geschrieben: Wenn ich mir anschaue, was vor dem Herbst 1989 im DDR-Rundfunk möglich war ... Computermagazine auf wissenschaftlich-technischem Niveau
Und wem hat das was genutzt, wenn eh kaum jemand Zugang zu einem Computer hatte?
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Chris_BLN
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Chris_BLN »

102.1 hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 14:00 Ich hatte die CSSR besser kennenlernen "dürfen" d.h. auch hinter den Kulissen der normalen Touristen, die sich dennoch trotz der politischen Situation ins Land wagten . Irgendwas an der DDR gut zu empfinden, oder auch zu relativieren ist für mich kompletter Unsinn oder vielleicht nur ein schlechter Versuch eines ehemaligen DDR Bürgers die Vergangenheit irgendwie zu verschönern.
Wie ich in der DDR gelebt habe, wie meine Eltern gelebt haben, wie unsere Nachbarn gelebt haben und meine Mitschüler gelebt haben, weiß ich besser als Du. Ich brauche diesbezüglich keine Bevormundung.
102.1 hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 14:00 Auch spielte der Sender Wilsdruff eine wichtige Rolle in der Verbreitung von Kommunismus und dessen Repressalien gegenüber der Bürger zur Zeit der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings.

Ich bin dafuer, dass der Sender Wilsdruff umgänglich abgerissen wird, damit dort keine Pilgerstätte für irgendwelche DDR Ostalgiker entstehen kann. Das Grab von Rudolf Hess gibt's ja auch nichtmehr, aus gutem Grund.
Die heutigen Sender verbreiten dafür seit Jahrzehnten auch im Osten die Ideologie des Kapitalismus, von dem immer mehr klar wird, dass er schon naturgesetzlich keine unendliche Existenzzeit haben wird - und von dem man weiß (und naturwissenschaftlich eindeutig messen kann), dass er mit seinen "Grundwerten" den Lebensraum "Erde" für Menschen und andere höhere Arten zerstören wird. Deshalb wäre es sehr angemessen, nach der Vernichtung der Ost-Sendeanlagen auch die West-Sendeanlagen zu vernichten (außer vielleicht Bayern 2, die haben ja manchmal Ökothemen im Angebot).

Und dann die Autobahnen, wegen Adolf. Und die Wohnhäuser der Ostdeutschen - dort war ja auch die Stasi zu Hause. Und die Wohnhäuser der Westdeutschen - dort wurde auf Kosten dieses Planeten geschlemmt. Geil, das werden ja blühende Landschaften!

Mensch, isses heute wirklich irgendwo so warm in Deutschland? Das Wetter hat sich doch deutlich abgekühlt...

:verrueckt:
Cha hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 16:55
Chris_BLN hat geschrieben: Wenn ich mir anschaue, was vor dem Herbst 1989 im DDR-Rundfunk möglich war ... Computermagazine auf wissenschaftlich-technischem Niveau
Und wem hat das was genutzt, wenn eh kaum jemand Zugang zu einem Computer hatte?
Das hat letztlich alljenen genutzt, die sich dafür interessierten. Zugang zu Computern bekam man ab ca. 1987 schon irgendwie, wenn man wollte. Es gab zunehmend in Schulen oder Betrieben "Computerkabinette". Es gab Computer-Arbeitsgemeinschaften an Schulen. Teils baute man dort auf Z80-Basis auch Rechner selbst (!), wenn man an die Teile kam. Der FUNKAMATEUR hatte zunehmend Computerthemen im Angebot, teils mit seitenlangen abgedruckten Hex-Listings. Der Militärverlag der DDR (!) brachte die ersten Bücher zu Computern raus. Prof. Hörst Völz tingelte durch die Hörsäle der Universitäten der DDR mit seinem Computer-und-Kunst-Vortrag. Die Hörsäle waren gerammelt voll.

Als ich 1988 im September auf eine neue Schule kam, war ich einer der wenigen, die keine Computererfahrung hatten. Im Informatikunterricht (ja, September 1988, 9. Klasse) war ich entsprechend schlecht, da null Ahnung von BASIC. EIn Mitschüler von mir tippte da bereits Hexcode aus dem Kopf (!) in den Speicher und ließ das dann laufen - der brauchte nichtmal Assembler für den "Kleinkram". Heute ist dieser Mann Informatikprofessor, wen wunderts.

http://www.radio-geschichte-dt64.de/090930.html

http://www.kc85emu.de/scans/fa0589/REM.htm
-> 25000 Hörerbriefe zu dieser Sendereihe!

Man beachte auch hier mal die Datumsangaben:
http://waste.informatik.hu-berlin.de/Di ... dfunk.html

"30.01.76 Informationstheorie und Musik"
"10.11.78 Integration bzgl. Symposium Magnetische Signalspeicher. Stimme der DDR "
"30.10.80 Zur Information und zum bit (10 Min.). Berliner Rundfunk"
"19.03.86 "Künstliche Intelligenz". Radio DDR2 Jugendurania"

Undsoweiter.
Felix II
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Felix II »

Ich glaube die emotionale Bindung der Interessensgruppe an Leuten die den Sendeturm und das drumherum erhalten wollen rührt einfach daher, eben dass DT64 darüber ausgestahlt werden konnte nachdem es von UKW runterflog. DT64 war in damals so populär, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Mit Übernahme des Programms damals auf der Mittelwelle hatte der Sender damals seinen Status als (einstige) Propagandaschleuder schlagartig verloren.

Außerdem ist es auch ein Stück Heimat. Vollkommen unideologisch. Man fährt auf der Autobahn gen Wilsdruff und bekommt den Sender in Sichtweite, da weiß man, gleich ist man zuhause.

In Wilsdruff gibt es einen Bahnhof der ehemaligen Schmalspurbahn. Der ist tiptop gepflegt und das Gelände drumherum ebenfalls. Auch hat man im Bahnhofsbereich ca. 200 Meter Bahngleise wieder verlegt welche bei Festen mit einer Draisine befahrbar sind.

Da spielt das gleiche emotionale Gefühl rein wie beim Funkturm. Man will sich nicht einfach alles (weiter) wegnehmen lassen. Die Schmalspurbahn wurde ja zu tiefsten DDR-Zeiten stillgelegt und abgebaut, einfach weil die DR nicht in den Erhalt investieren wollte/durfte/konnte.
mfG: Felix II
[hr]
Zitat H.S.: Es gibt kluge Menschen in Deutschland. Und solche die gendern...
Sticks and stones may break my bones but there will always be something to offend a feminist.
Wikipedia: Standart bezeichnet häufig eine Falschschreibung des Wortes Standard
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von 102.1 »

Felix II hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 22:28
Außerdem ist es auch ein Stück Heimat. Vollkommen unideologisch. Man fährt auf der Autobahn gen Wilsdruff und bekommt den Sender in Sichtweite, da weiß man, gleich ist man zuhause.

In Wilsdruff gibt es einen Bahnhof der ehemaligen Schmalspurbahn. Der ist tiptop gepflegt und das Gelände drumherum ebenfalls. Auch hat man im Bahnhofsbereich ca. 200 Meter
Gut, das hätte man bei dem Sender Heusweiler auf 1422, ehemals Europawelle Saar auch behaupten können. Da gab's zwar einige sentimentale Gefühle, aber dann wurde der Sender demontiert und das war's. Daher verstehe ich diesen Eiertanz um den Abriss des Sender Wilsdruff nicht. ( Ach ja, in der DDR war's ja so romantisch, Alle hatten alles und waren zufrieden, und die Nachbarn fanden sich auch damit ab wie ich, und ja die Kinderbetreuung war sehr gut und genau deswegen brauchen wir eine Bürgerinitiative um den Sender Wilsdruff zu erhalten. Ironie Ende ) Am Ende seiner Betriebszeit lief dann über den Sender Heusweiler der Deutschlandfunk, welcher nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern auf UKW verbreitet wurde.

Zu DDR Zeiten dürfte selbst in der DDR der Sender Heusweiler mit der Europawelle Saar weitaus mehr Hörer gehabt haben, als das Programm DDR 1. Unideologisch war das Programm DDR 1 nie.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von CosmicKaizer »

102.1 die alte Bundesrepublik ist tot. Finde dich damit ab.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von 102.1 »

CosmicKaizer hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 23:21 102.1 die alte Bundesrepublik ist tot. Finde dich damit ab.
Erzähle lieber den DDR Nostalgikern, dass die DDR nicht mehr existiert und Ostalgie Unsinn ist. Bei diesen Themen ist Deutschland offenbar bis heute geteilt.

Jedenfalls holt mich nicht die Stasi ab, wegen meiner Meinungsäußerung, - auch in den neuen Bundesländern nicht.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Chief Wiggum »

102.1 hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 23:26
CosmicKaizer hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 23:21 102.1 die alte Bundesrepublik ist tot. Finde dich damit ab.
Erzähle lieber den DDR Nostalgikern, dass die DDR nicht mehr existiert und Ostalgie Unsinn ist. Bei diesen Themen ist Deutschland offenbar bis heute geteilt.

Jedenfalls holt mich nicht die Stasi ab, wegen meiner Meinungsäußerung, - auch in den neuen Bundesländern nicht.
Manchmal habe ich das Gefühl, die DDR wird von Auswärtigen nur auf die Mauer und die Stasi reduziert...
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Chris_BLN »

Felix II hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 22:28 Ich glaube die emotionale Bindung der Interessensgruppe an Leuten die den Sendeturm und das drumherum erhalten wollen rührt einfach daher, eben dass DT64 darüber ausgestahlt werden konnte nachdem es von UKW runterflog. DT64 war in damals so populär, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Mit Übernahme des Programms damals auf der Mittelwelle hatte der Sender damals seinen Status als (einstige) Propagandaschleuder schlagartig verloren.

Außerdem ist es auch ein Stück Heimat. Vollkommen unideologisch. Man fährt auf der Autobahn gen Wilsdruff und bekommt den Sender in Sichtweite, da weiß man, gleich ist man zuhause.
Bei der ansässigen Bevölkerung vermute ich weniger DT64 als Grund, sondern schlicht das gleiche wie in Donebach und anderswo: Landmarke, liebgewonnenes Wahrzeichen, erster Gruß von der Heimat wenn man nach Hause kommt, letzter Gruß, wenn man wegfährt. DT64 hatte zwar sehr treue und "leidensbereite" (Mittelwelle!) Hörer, aber dann doch über das ganze Land verteilt. Vor Ort dürften die meisten "Alten" dann MDR Sachsen gehört haben und die jüngeren PSR oder MDR Life.

Propagandaschleuder" war DT64 seit Herbst 1989 nicht mehr, als die Belegschaft der Programmleitung das Misstrauen aussprach. Dran denken: 1990 hatten die einen eigenen Intendanten (den man "Dietmar" nennen durfte) und machten mit SDR 3 zusammen die Top 2000 D.

Als das Programm vom MDR 1992 auf Mittelwelle geparkt wurde, war es doch schon nur noch ein Schatten seiner selbst. Viele waren Ende 1991 weg, weil sie ahnten, wohin die Reise unter dem MDR gehen wird, sind zu Radio Brandenburg (Kulturprogramm, eingestellt 1997) oder zu Rockradio B (3/1993 mit Radio 4U zu Fritz fusioniert). Im DT64-Programm von 1992 merkte man schon an allen Ecken und Enden, dass was fehlt.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von Chris_BLN »

Chief Wiggum hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 23:34 Manchmal habe ich das Gefühl, die DDR wird von Auswärtigen nur auf die Mauer und die Stasi reduziert...
Aber höchstens von einigen.

Letztens schockierte mich ein über 70-jähriger "Westbekannter" aus dem süddeutschen Raum mit der Aussage, dass er anlässlich einer Tagung das erste mal (!) in Ostdeutschland war. Das muss man auch erstmal schaffen, wobei: ich war auch in etlichen westdeutschen Regionen noch nicht. Er meinte so, ist ja landschaftlich teils wirklich schön. Wenn nur nicht die vielen rechten Dumpfbacken wären. Und da hat er leider Recht.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von 102.1 »

Chris_BLN hat geschrieben: So 4. Aug 2019, 00:00
Chief Wiggum hat geschrieben: Sa 3. Aug 2019, 23:34 Manchmal habe ich das Gefühl, die DDR wird von Auswärtigen nur auf die Mauer und die Stasi reduziert...
Aber höchstens von einigen.

Letztens schockierte mich ein über 70-jähriger "Westbekannter" aus dem süddeutschen Raum mit der Aussage, dass er anlässlich einer Tagung das erste mal (!) in Ostdeutschland war. Das muss man auch erstmal schaffen, wobei: ich war auch in etlichen westdeutschen Regionen noch nicht. Er meinte so, ist ja landschaftlich teils wirklich schön. Wenn nur nicht die vielen rechten Dumpfbacken wären. Und da hat er leider Recht.
Ich habe mich eigentlich immer darann gehalten, auch von den "Neuen Bundesländern" zu sprechen, nicht von Ostdeutschland. Ist man heute in den Neuen Bundesländern kann man durchaus von einer Erfolgsgeschichte sprechen, was den Aufbau betrifft, die Sanierung der Städte, die Infrastruktur, auch wenn dies mit unseren Soli-Zahlungen geschehen ist. Es hatte seinen guten Zweck. Auch geschichtlich zeigen die Neuen Bundesländer Einiges, nur muss man mit Heimat oder Geschichte oder eigener Kultur nicht gleich die DDR verstehen. Die DDR war nunmal ein unmenschliches Unrechtsregime, in welchem Menschenrechte nur mit Füßen getreten wurden.

Dieses herum-romantisieren der DDR Zeit stößt uns im ehemaligen Westen eher übel auf, ebenfalls die rechten Dumpfbacken. So Mancher im "ehemaligen Westen" reagiert da heute noch undiplomatischer unter dem Gedanken, "Wir zahlen mit dem Soli den Aufbau in den Neuen Bundesländern, und was bekommen wir im Gegenzug? DDR Nostalgie und rechtes Gedankengut?

Vergleiche ich mit der ehemaligen CSSR, heute Tschechien, der Slowakei oder Polen, dann romantisieren dort deutlich weniger Menschen bis kaum Jemand der kommunistischen Vergangenheit nach zumal die Wende dort weitaus härter für die Menschen war . Es wirkt in diesen Ländern einfach nur lächerlich wenn man dies tun würde. In den Neuen Bundesländern hingegen ist Ostalgie leider gesellschaftlich akzeptabel.
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Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von PAM »

Ich dachte eigentlich, die Mauer in den Köpfen sei inzwischen ebenfalls eingerissen worden. Um so mehr entsetzt mich die Verbohrtheit, mit der einige bis heute ihre Ideologie als einzige Wahrheit propagieren und zugleich keine andere Meinung neben ihrer eigenen zulassen.

Jede Epoche hatte ihre unglaublichen Fortschritte und auf unzähligen Entwicklungen ruht bis heute unser Wohlstand. Der Autobahnbau wurde zitiert. In der gleichen Zeit kamen 2/3 der deutschen Bevölkerung an elektrischen Strom. Die 1930er und 40er Jahre brachten den Durchbruch des Hörrundfunks. Der unsinnige zweite Weltkrieg ging am Größenwahnsinn verloren - nicht an den unzähligen Erfindungen dieser Zeit, die wir heute ganz selbstverständlich nutzen. Die geniale wie grausame V-Waffe war die Basis für Strahltriebwerke, die bis heute in der Luftfahrt auch zivil genutzt werden. Das zeitgleich erfundene Radar ist heute für viele Bereiche von der See- bis zur Luftfahrt für sicheren Verkehr in Betrieb.

Woher kam der Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre in Westdeutschland? Zu großen Teilen von den West-Alliierten! Sie investierten, verzichteten auf Reparationsleistungen. Und in der jungen DDR? Es waren harte Jahre, in die meine Eltern hinein geboren wurden. Reparationen an die Sowjetunion kosteten Wirtschaftskraft und was nicht zerstört wurde, das wurde demontiert. Was die Landwirtschaft erbrachte, das ging ebenfalls zu großen Teilen als Wiedergutmachung weg. Dieser Mangel, der weite Teile des politischen Lebens umfasste, hatte sich bis in die 1970er Jahre gehalten. Der Wohnungsmangel war selbst zum Ende der DDR trotz ambitioniertem Wohnungsbauprogramm nicht beseitigt.

Dann kam ein politisch erzwungener, jedoch nicht sehr weise ausgehandelter Beitritt der DDR zur BRD. Und plötzlich sollte alles besser werden. In diesem Moment hätte das Grundgesetz sein Ende haben sollen, es sollte eine Verfassung geben. Das unterblieb, die entsprechende Passage im Grundgesetz wurde entfernt. Was dann kam, das war das Verramschen von alldem, was noch funktionierte, aber eine Konkurrenz zu West-Unternehmen werden konnte. Das erste Mal zeigte der Kapitalismus seine häßliche Fratze. Auf Massenentlassungen folgte für viele, die 1989 auf die Straßen gingen, die Langzeitarbeitslosigkeit der 1990er Jahre.

Und heute? Dieses Land hat es geschafft, mehr als 1/3 der Arbeitskräfte in den Billiglohnsektor zu drängen. Arbeit darf nichts kosten! Das sorgt für Altersarmut, weil nicht viel für die Rente anrechenbar ist. Das trifft auch die Langzeitarbeitslosen der Nachwendejahre. Mit der Einführung der D-Mark wurden die Sparer das erste Mal enteignet, jedoch nur die im Osten. Die Euro-Einführung und die Nullzinspolitik der EZB enteigneten Sparer jetzt wenigstens im ganzen Land.

Was sich nicht geändert hat: Wer sich mit dem System anlegt der muss damit rechnen, dass ihn das System bekämpft. Unverändert ist es so, dass man nicht in jedem Fall und zu jedem sagen kann, was man denkt. Andersdenkende hat jedes System bekämpft, vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart.

Ich habe gebildete und freundliche Menschen in allen Ecken dieses Landes kennenlernen dürfen. Viele kluge Menschen verbindet dieses Forum und ein gemeinsames Hobby. Aber ich bin auch auf genügend Zeitgenossen getroffen, die mehr oder weniger fanatisch gefährliche Ideologien vertreten.

Dieses Land ist meine Heimat, aber es ist nicht mehr mein Land. Ich bin inzwischen Teil des Systems, ohne von ihm überzeugt zu sein. Es ist nicht mein System, da es sich gegen die Menschen richtet. Aber eine Hand des Systems füttert mich durch. Insofern bin ich abhängig davon und muss mitspielen. Nun ja, alles hat seine Zeit.

Ich würde mir wünschen, dass wir wenigstens auf Augenhöhe toleranter miteinander umgehen.
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Re: Sender Wilsdruff wird abgerissen

Beitrag von 102.1 »

PAM hat geschrieben: So 4. Aug 2019, 11:02 Das erste Mal zeigte der Kapitalismus seine häßliche Fratze.
Der Wohlstand Westdeutschlands war auch dem Fleiß der Bevölkerung geschuldet. In der DDR hingegen drangsalierte der Kommunismus die Menschen mit sinnlosen Dingen, behinderte Eigeninitiative, welche nur zu Demotivation und in eine Mangelwirtschaft führte. Wer etwas erreichen wollte, floh noch vor dem Mauerbau.

Und der Kommunismus zeigte seine hässliche Fratze nie?

Das scheinst Du in Deinem Beitrag nicht zu nennen wollen. Die DDR war wie jedes andere Ostblockland nichts anderes als ein riesiges Freiluft-Gefängnis, dessen Insassen eigentlich nichts verbrochen hatten, ausser nach dem Krieg in der falschen Zone zu sein oder eben vor dem Mauerbau nicht geflüchtet waren. Oder auch die sowjetischen "Befreier" die anfangs nichts anderes im Sinn hatten als Frauen massenhaft zu vergewaltigen. Auch überwanden Flüchtlinge unter Einsatz ihres Lebens die Grenze der DDR, während Deutsche Grenzer der DDR auf Deutsche schossen. Da schlage ich mich lieber mit einer neuen Jobsuche herum, nach ungerechtfertigter Entlassung aus welchen fadenscheinigen Themen auch immer. Der DDR Grenzer, der NVA Berufssoldat oder der Stasi-Mitarbeiter hatten mit Sicherheit in der DDR eine sehr sichere Anstellung.

Der Begriff Heimat kann ja ruhig in den Neuen Bundesländern liegen, dies ist ja auch nichts Verwerfliches! Wird der Begriff Heimat allerdings auf DDR und dessen System angewendet, wird sich Jeder im ehemaligen Westen ernsthafte Fragen stellen müssen.

Es wird generell im ehemaligen Westen als irritierend empfunden. wenn sich Menschen aus den Neuen Bundesländern die Zeit der DDR positiv reden, DDR Nostalgie pflegen, und das System DDR als jenes der Verbundenheit neuen Bundesländer sehen wollen. Das ist etwa so, wie manche ältere Semester in Westdeutschland "Der Landser" gelesen hatten, um ihre Kriegserfahrungen abzumildern oder schön zu reden.
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